■ Bonn-apart: Eingewickelt
Mensch, Christo! Wir haben schon gedacht, Du packst es nie mehr (ein). Aber jetzt hast Du endlich Vernunft angenommen. Beim vierten Versuch bringst Du nun die richtigen Argumente für die Reichstags-Verpackung. Und es wirkt ja auch: Die Bundestagsmehrheit ist so gut wie sicher. Die ÖDP steht mittlerweile fast allein da mit ihrer steifleinernen Attacke auf den „fragwürdigen künstlerischen Akt“, der angeblich einen „riesigen Berg von Verpackungsmüll“ produziert.
Die neue Strategie wirkt: Wer Parlamentarier einwickeln will, darf nicht dauernd nur von Kunst reden. Politikerherzen gewinnt, wer ihre Sprache spricht. Als vorbildlicher Sparkünstler will Christo den Etat für seine Projekt (zehn Millionen Mark) selbst aufbringen. Das hören die Abgeordneten gerne. Rund 100.000 Quadratmeter groben Stoffs sollen Alpinisten über den Reichstag spannen. Die Textilie, die laut Christo von ihrer Struktur an ein „mittelalterliches Kettenhemd“ erinnert, wird in Deutschland ausgeschrieben und von deutschen Firmen produziert. Parlamentarier freuen sich über solche Aufträge an die Wirtschaft. Schließlich – Stichwort Innere Sicherheit – wird das Kunstwerk von einem privaten Sicherheitsdienst schwer bewacht: Niemand wird auch nur ein Stückchen Stoff abschneiden können. Vorbildlicher Schutz des Eigentums! Und dann das kühl kalkulierte Angebot an Umweltfreunde (ÖDP aufgepaßt!): Das Gewebe wird nach der Aktion nicht auf den Müll geworfen, sondern in der Landwirtschaft wiederverwendet.
Christo wird es verschmerzen, daß der Ältestenrat des Bundestags seine Entscheidung schon wieder um eine Woche verschoben hat. Die Argumente sind unwiderstehlich. Schon überlegen Politiker, ob Christo nicht noch mehr Aufgaben übernehmen könnte. So fragte der Abgeordnete Norbert Gansel im Bundestag jetzt die Bauministerin: Hätte das Absaufen des Schürmann-Baus in Rheinfluten nicht verhindert werden können, wenn Christo die Großbaustelle rechtzeitig eingepackt hätte? Hans Monath
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