Eingeschlossen im Gazastreifen: Studenten sitzen fest
Rund 700 angehende palästinensische Wissenschaftler können ihre Ausbildung nicht fortsetzen, weil sie, wie ihre Landsleute auch, den Gazastreifen nicht verlassen dürfen.
JERUSALEM taz Für Nibal Nayef endet der Traum vom Studium in Kaiserslautern vorläufig am Grenzübergang Erez. Schon im April hätte sie mit einem Sprachkurs beginnen sollen, um im Herbstsemester in das dreijährige Doktorandenprogramm für Informationstechnologie an der Technischen Universität einzusteigen. "Ich versuche, meinen deutschen Professoren klarzumachen, warum ich noch immer nicht an der Uni eingetroffen bin", sagt die 27-Jährige. "Sie können sich nicht vorstellen, wie Menschen daran gehindert werden, ihr Land zu verlassen." Nibal hofft nun auf den Obersten Gerichtshof in Jerusalem, bei dem sie mit Hilfe der israelischen Menschenrechtsorganisation "Gischa" (Zugang) ein Gesuch für die Ausreise eingereicht hat.
Seit dem Sommer 2007, als die Hamas gewaltsam die Kontrolle über den Gazastreifen an sich riss, hindern israelische Grenzschützer die Palästinenser an der Ausreise. Ohne Sondergenehmigung, die Israel in Ausnahmefällen vor allem medizinisch dringend Behandlungsbedürftigen ausstellt, haben die eineinhalb Millionen dort lebenden Menschen keine Möglichkeit, den Gazastreifen zu verlassen.
Nibal ist eine von knapp 700 Studenten, die ihre Ausbildung im Ausland oder im Westjordanland fortsetzen wollen, weil die drei Universitäten im Gazastreifen ihren Fachbereich gar nicht oder nicht auf dem nötigen Niveau anbieten. Magisterstudiengänge sind begrenzt, Doktorandenprogramme existieren an keiner der Universitäten. Die junge Frau, die eine Universität in Jordanien mit Auszeichnung absolvierte, würde gern im akademischen Bereich bleiben und wie ihr Vater, der Mathematik-Dozent war, forschen und lehren. "Image Processing" ist ihr Fachgebiet. In Gaza gehört sie zu den ersten Frauen, die in diesem Bereich promovieren.
"Ich war mein Leben lang eine gute Studentin", sagt Nibal verzweifelt. "Jetzt sitze ich hier fest und kann den Sprachkurs nicht wahrnehmen." Im Selbststudium versucht sie, sich die Grundlagen des Deutschen beizubringen, um später den verpassten Stoff schneller nachholen zu können. "Es ist schwierig ohne Lehrer. Ich weiß ja nicht einmal, wie man die Worte ausspricht."
Nibal sorgt sich, dass ihr das Stipendium gestrichen wird, wenn sie ihr Studium nicht rechtzeitig aufnimmt. Doch vorläufig hält der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) ihr den Platz offen. Sobald sie in Deutschland ist, wird der DAAD, der noch fünf weitere Palästinenser aus dem Gazastreifen fördert, nach alternativen Sprachkursen für sie suchen.
Trotzdem belastet Nibal die Unsicherheit, ob und wann sie ausreisen wird. "Ich kann nichts planen", schimpft sie. Eine feste Stelle, die ihr als Dozentin an der "Hochschule für angewandte Wissenschaften" in Gaza angeboten wurde, schlug sie aus, um jederzeit bereit für die Reise nach Deutschland zu sein. Jetzt unterrichtet sie freiberuflich an der Hochschule ein paar Stunden pro Woche. Nibal und ihre zwei Brüder unterstützen ihre Mutter, die seit dem letzten Jahr Witwe ist. Ein dritter Bruder studiert bereits in Saarbrücken.
Sollte der Oberste Gerichtshof gegen die Studenten entscheiden, bliebe nur die Hoffnung auf einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Beide Seiten verhandeln indirekt mit ägyptischer Vermittlung über die Einstellung der Angriffe aus Gaza und die stufenweise Lockerung der Blockade. Wenn die Feuerpause kommt, könnte als erstes der seit einem Jahr stillgelegte Personenübergang in Rafah an der Grenze nach Ägypten wieder geöffnet werden.
Nibals Koffer sind gepackt, auch wenn sie ihrem Studium in Deutschland nicht völlig bedenkenlos entgegensieht. Die religiöse Muslima hat nur vage Vorstellungen davon, wie sie in der christlich geprägten Umgebung zurechtkommen wird. "Ich gehe nach Deutschland, um zu studieren", sagt sie pragmatisch. "Die TU in Kaiserslautern gilt als eine der besten in meinem Bereich."
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