: Einfach so, weil sie die Duras ist ...
Alain Vircondelets Biographie über Marguerite Duras ■ Von Jürgen Berger
Mitte der fünfziger Jahre: Marguerite Duras hat erste literarische Erfolge. Sie ist vierzig, hinter ihr liegen die Jugend in Südvietnam, die Rückkehr mit der Mutter nach Frankreich und ihre politische Sozialisation: die Jahre in der Résistance – ungeklärt allerdings ihr Verhältnis mit einem Funktionär des Vichy-Regimes – und die qualvolle Zeit, in der ihr Lebenspartner, Robert Antelme, in einem deutschen Konzentrationslager verschwunden war. Sie tritt in die französische KP ein, aus der sie nach wenigen Jahren wieder ausgeschlossen wird: sie, Antelme und andere Schriftsteller gehören zu einer Pariser Gruppe, die gegen den stalinistischen Sozialismusbegriff der KP opponiert.
Es ist eine Zeit, in der Duras sich neben ihrem öffentlichen Engagement mehr und mehr mit ihrer eigenen literarischen Welt beschäftigt. Sie hat bereits den Roman „Der Matrose von Gibraltar“ veröffentlicht, der zusammen mit den „Pferdchen von Targuinia“ Ausgangspunkt ihrer Erkundungen in den Irrgärten des Begehrens ist. In diesen Texten findet sie auch zum ersten Mal den für sie typischen unterkühlten Erzählton.
Als die Sowjets in Budapest einmarschieren, schreibt Duras in der von ihr mitgegründeten Zeitschrift Der 14. Juli: „Eure Geschichte schließt sich selbst ab. Seht Euch an. Ihr spielt die Lebendigen, doch Eure Agonie hat begonnen.“ Das ist 1956. Auf ihren Durchbruch als Schriftstellerin wartet sie noch, zu einer Figur im öffentlichen Leben Frankreichs jedoch ist sie bereits geworden.
In dieser Zeit schreibt sie das Drehbuch zu Alain Resnais' „Hiroshima mon Amour“. Dieser Film nimmt die Atmosphäre der cineastischen Nouvelle Vague vor, beschreibt vereinzelte Menschen, ambivalentes Begehren und existentielle Randerfahrungen – eine Atmosphäre, die wohl auch Alain Vircondelet stark beeinflußt hat. Er hat im letzten Jahr in Frankreich die erste Biographie über Marguerite Duras veröffentlicht, die jetzt auch auf deutsch vorliegt.
Das Hauptproblem für Duras-Biographen dürfte darin liegen, daß man es hier mit einer Schriftstellerin zu tun hat, die zwar die biographischen Details ihrer Erzählfiguren verbirgt, ihr eigenes Leben hingegen zuweilen geradezu geschwätzig preisgibt. Man sollte erwarten, daß Alain Vircondelet sich gerade deshalb um Distanz bemüht. Kontraste zu Duras' öffentlich propagiertem Selbstbild hätten Zeitzeugen, Freunde, Lebensgefährten, Kritiker, Bewunderer setzen können, und nur so hätte sich schließlich eine Biographie ergeben, die verschiedene Blickwinkel dokumentiert und ermöglicht. Bedauerlicherweise hat Vircondelet genau das Gegenteil getan und über weite Passagen nur abgeschrieben und lyrisch überhöht, was Marguerite Duras ihm aufs Band gesprochen hat. Er ist selbst Schriftsteller, wurde lange Jahre von Marguerite Duras gefördert und neigt wohl aus diesem Grund zur Nibelungentreue.
Bekannt wurde Marguerite Duras Mitte der achtziger Jahre mit dem Roman „Der Liebhaber“, der nicht gerade einer ihrer stärksten ist. Ihre Rückbesinnung auf die eigene Jugend am Mekong und die erste eigene ambivalente Liebeserfahrung führte zu einem weit weniger souveränen Umgang mit den Erzählsituationen als zwei Jahrzehnte zuvor in „Die Verzückung der Lol. V. Stein“ und „Der Vize- Konsul“ oder auch in „Die Krankheit Tod“ (1983) und „Blaue Augen, Schwarzes Haar“ (1986). Hier genau zu unterscheiden ist jedoch nicht Vircondelets Sache. Er verlegt sich vielmehr darauf, leitmotivisch ein „Navire-Night“ durch seine Biographie fahren zu lassen – ein Nachtschiff, die Duras eben, die ihm zufolge immer weiter in unbekannte literarische Gefilde vorstößt und dabei immer radikaler freilegt, was sie halt schon immer freilegte.
Daß der Biograph nicht differenziert, hat seinen Grund, denn für ihn ist sie eine Frühvollendete, und zwar auf allen Gebieten. Wenn sie für den Nouvel Observateur schreibt, ist es nicht damit getan, daß sie als Reporterin von den dunklen Rändern der Vierten Republik berichtet. Nein: „Sie definiert den Journalismus neu.“ Und schon Anfang der 60er Jahre, so Vircondelet, zog sie alle Register, „vom Roman bis hin zum Dramatischen, vom Ernsten bis hin zur Posse, so wie sie schon bald eine Kamera nehmen und es fertigbringen wird, sich gleichberechtigt neben die größten Regisseure zu stellen, einfach so, weil sie die Duras ist“. Marguerite Duras selbst allerdings hat einmal festgestellt, für das Medium grundlegende Erfahrungen erst 1972/73 gemacht zu haben – also zehn Jahre, nachdem sie laut Vircondelet bereits perfekt war.
Seine Sucht, ständig etwas zu beweisen, ist vor allem deshalb unverständlich, da Duras' Rang als Schriftstellerin längst feststeht. Vircondelet hätte also getrost jeden lyrischen Überschwang abstreifen können. Vielleicht wären uns dann auch die ersten hundert Seiten erspart geblieben, in denen er lediglich eine atmosphärisch aufgeladene Paraphrase des „Liebhabers“ abliefert.
Nur wenn er die Duras als politische Person portraitiert und ihre Literatur als eine eigenständige Erscheinung im Spannungsfeld von Ecriture Automatique und Nouveau Roman beschreibt, wird seine Biographie interessant.
Duras-Biographen nach ihm brauchen also nicht zu verzweifeln. Ein weites Betätigungsfeld und die Mühe der Recherche liegen noch vor ihnen.
Alain Vircondelet: „Marguerite Duras“. Biographie. Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn. Beck & Glückler Verlag, Freiburg 1992, 508 Seiten, 48 DM
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