: Einer der Üblichen
Türkische Fußballnormalität: Nationalismus, Gewalt auf und neben dem Feld, und Fenerbahce Istanbul ist Meister
KARLSRUHE/ISTANBUL taz ■ Jüngst verbrachte Ersun Yanal ein paar Tage in Deutschland. Der ehemalige Nationaltrainer der Türkei nahm beim VfL Bochum, dem FC Schalke und Bayer Leverkusen die Nachwuchsarbeit unter die Lupe. Das wäre an sich nicht weiter der Rede wert, wäre Ersun Yanal nicht bis vor kurzem Trainer von Vestel Manisaspor gewesen. Jenem Emporkömmling aus der Provinz, der zu Beginn der Saison die Tabelle der SüperLig anführte und sich anschickte, endlich, nach 48 Jahren, die Phalanx der Serienmeister aus Istanbul zu durchbrechen. Am 25. Spieltag aber trat Yanal von seinem Amt zurück. Nach einer epischen Niederlagenserie gab dem Akademiker ein Vorfall beim Spiel gegen Sakaryaspor den Rest. Sein Torhüter und einer seiner Co-Trainer attackierten den Schiedsrichter tätlich, worauf das Spiel abgebrochen wurde. Nun droht Vestel Manisaspor zwei Spieltage vor Saisonende gar der Abstieg. Meister ist natürlich wieder einer der üc büyük, der großen drei, aus Istanbul.
Am Sonntag genügte Fenerbahce ein 2:2 gegen Trabzonspor, um den Titel auf die asiatische Seite der Millionenmetropole am Bosporus zu holen. Da gleichzeitig die ewigen Rivalen Besiktas und Galatasaray patzten, ist Fener im Jahre seines 100-jährigen Vereinsjubiläums der Titel nicht mehr zu nehmen. Besiktas verlor 0:3 in Bursa, worauf das einflussreiche Sportblatt Fanatik Trainer Jean Tigana „Harakiri“ vorwarf. Galatasaray kassierte in der Nachspielzeit das 1:1 in Sivas. In der Türkei zählt bei Punktgleichheit der direkte Vergleich und Fener hat nun sechs Punkte Vorsprung.
Dass Fenerbahce ein verdienter, wenn auch glanzloser Meister ist, darüber herrscht in den türkischen Medien Einigkeit. Für Zico, den brasilianischen Trainer, ist die Meisterschaft eine arbeitsplatzerhaltende Maßnahme. Der Nachfolger des nach der verpassten Meisterschaft im vergangenen Jahr abgetretenen Christoph Daum stand hart in der Kritik – nicht nur wegen der nicht geschafften Qualifikation für die Champions League. Zu statisch und zu taktisch sei das Spiel der Mannschaft mit dem größten Etat der Türkei. Dass am Ende dennoch der Titel heraussprang, ist vor allem der Unbeständigkeit der Konkurrenz zu verdanken. Ob Fenerbahce aber endlich Ruhm in Europa ernten kann, ist ungewiss. Tuncay, den sie den Beckham der Türkei nennen und der bei Fener ein Volksheld ist, kündigte diese Woche an: „Ich suche eine Herausforderung in Europa.“ Der brasilianische Spielmacher Alex soll als Nachfolger von Yildiray Bastürk in Berlin im Gespräch sein. Es war typisch für eine sportlich enttäuschende Saison, dass Fener seinen Triumph auf neutralem Platz in Izmir feierte.
Eine Platzsperre wegen Ausschreitungen im Pokal-Halbfinale gegen Besiktas machte den Umzug erforderlich. Wie in allen Teilen der Gesellschaft befinden sich auch beim Lieblingssport der Türken die Bewahrer des speziellen türkischen Nationalismus in der Auseinandersetzung mit demokratischen Kräften. Nie wurde dies deutlicher als nach dem Mord an dem armenischstämmigen Intellektuellen Hrant Dink im Februar. Der türkische Fußballverband untersagte damals Banner in den Stadien mit der Aufschrift „Wir alle sind Hrant Dink“, wie sie Zehntausende auf den Straßen Istanbuls nach dem Mord trugen. In den Fankurven brach sich dagegen aggressiver Nationalismus Bahn. Vor allem in Trabzon, von wo der mutmaßliche Täter stammt. Und nur eine Woche später kam der erst 19-jährige Aykut Adiyaman ums Leben.
Den Fan von Sakaryaspor traf auf dem Nachhauseweg vom Spiel bei Fenerbahce eine Bierflasche, als sein Zug im Bahnhof von Kocaeli ankam. Angeblich hat die Bierflasche ein Kocaelispor-Fan geworfen. Dieser Vorfall löste eine einzigartige Friedensdemonstration türkischer Fußballfans aus. Fanklubs aus der ganzen Türkei solidarisierten sich bei einem Treffen in Sakarya und zogen mit Plakaten durch die Straßen, auf denen stand: „Wir alle sind Aykut“. „Das ist ein Aufbruch in eine neue Ära“, hoffte ein Sprecher damals.
Wie liberale Kommentatoren aber glaubt auch Ersun Yanal, dass erst ein Titel eines anatolischen Klubs den türkischen Fußball, der weiterhin von Gewalt in den Stadien, den Grabenkämpfen der üc büyük und unsäglichem Verhalten vieler Offizieller gelähmt ist, demokratisieren könnte. Darauf muss nun ein weiters Jahr gewartet werden. Mindestens. TOBIAS SCHÄCHTER
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