: Eine windige Geschichte
■ Sicherheitspfusch am Bau: Verfahren vor dem Amtsgericht über eine heruntergefallene Dachlatte bequem eingestellt
Viktoria H. hat Strafantrag gestellt und viele Fotos mit ins Amtsgericht gebracht. Eines davon zeigt ein Dachfenster ihrer Wohnung und die mehr als drei Meter lange Dachlatte, die mitten in der Nacht durch das Fenster schlug. Es sei nicht der erste Gegenstand gewesen, der beim Ausbau des Nachbarhauses herunterfiel, sagt die Zeugin – der erste allerdings, der in der Nähe ihres Bettes landete. Der Inhaber der Baufirma, Christoph O., wurde auf ihren Antrag hin wegen „Baugefährdung“ angeklagt, das Verfahren wegen „geringer Schuld“ jedoch nach kaum mehr als einer Verhandlungsstunde eingestellt.
Das Gericht ersparte sich damit, die Verantwortlichkeit für eine ausreichende Absicherung der Baustelle zu überprüfen. Der Angeklagte nämlich gab an, nur für die sanitärtechnischen Arbeiten zuständig und verantwortlich zu sein. Sein damaliger Kompagnon, mit dem er heute im Streit über „Verbindlichkeiten“ liegt, und ein Vorarbeiter hätten die Aufsicht gehabt. Beide waren als Zeugen nicht geladen. Viktoria H. sagte aus, bis auf eine Ausnahme nur mit dem Angeklagten als Verantwortlichem gesprochen zu haben.
Mit mehreren Planen war der Dachstuhl des Hauses abgedeckt und mit Latten festgenagelt, erinnert sich O. und auch daran, daß es sehr stürmisch gewesen sei in der Nacht. Ein Orkan sei angekündigt gewesen, ergänzt sein Anwalt. „Wenn ich weiß, daß ein Sturm kommt“, wunderte sich der vom Gericht bestellte Gutachter, „dann kann ich ein Dach nicht mit einer Plane sichern. Dann muß das Segel vom Mast.“ Auch ein stabiles Auffanggerüst habe rund um die luftige Baustelle gefehlt, obgleich die Zeugin H. dies zuvor mehrfach angemahnt hatte.
„Herunterfallende Gegenstände“, meint der Gutachter, „kommen auf dem Bau am laufenden Band vor.“ Wo Anwohner dadurch gefährdet sein könnten, müsse „ein Fanggerät“ her. Und normalerweise lege die Baupolizei in einem solchen Fall die Baustelle still. Der Sanitärtechniker aber erklärte, daß die Balkone am auszubauenden Haus Auffangmöglichkeit genug gewesen seien. Und sein Rechtsanwalt kündigte einen – verfahrensverlängernden – Beweisantrag an: Der frühere, verantwortliche Kompagnon müsse gehört werden. Mit einer Einstellung des Verfahrens sei er jedoch sofort einverstanden. „Der Dachstuhl selbst hat ja gehalten.“ Stefanie Winter
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