Eine unpolitische Bewegung im Dritten Reich

■ Das Verhältnis der Anthroposophen zum Nationalsozialismus ist eine ungern diskutierte Frage. Der Historiker Uwe Werner geht ihr in einer ausführlichen Untersuchung nach

Einen „Meilenstein“ nennt Jens Heisterkamp, Chefredakteur der Zeitschrift „info3 – Anthroposophie heute“, das im April erschienene Buch von Uwe Werner. Und tatsächlich hat der Autor einen überfälligen Schritt getan: Seine Untersuchung über „Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus“ ist die erste ihrer Art.

Zwar gab es auch zuvor schon Bemühungen, das Verhältnis der braunen Machthaber zur Lehre Rudolf Steiners und ihren Anhängern zu thematisieren. Doch das Thema ist heikel, und allzu bequem die Rückzugsmöglichkeit. Denn schließlich wurde die Anthroposophische Gesellschaft im November 1935 verboten, was nach Meinung vieler Beweis genug für eine eindeutige Gegnerschaft „der Anthroposophen“ zum Hitler-Faschismus ist.

„Die Anthroposophen“ – das wird in anderem Zusammenhang immer wieder betont – gibt es allerdings nicht. Es gibt aber eine Anthroposophische Gesellschaft, und was deren Vertreter alles unternahmen, um dem befürchteten Verbot zu entgehen, erscheint von der Kollaboration nicht allzuweit entfernt. Das Leitmotiv der von Werner sorgfältig dokumentierten Versuche, die Machthaber gnädig zu stimmen, lautete kurz gefaßt: Anthroposophie ist eine gänzlich unpolitische Angelegenheit und ein Verbot deshalb überflüssig.

Es war natürlich alles andere als unpolitisch, daß zum Beispiel jüdische Mitglieder die Gesellschaft verließen, um sie nicht zu gefährden. Uwe Werner, der diese Vorgänge sorgfältig und detailliert beschreibt, gibt gleichzeitig eine etwas irritierende Begründung dafür ab, daß dies vor ihm noch niemand getan hat: Das Ausbleiben einer Diskussion innerhalb der Bewegung „unmittelbar nach dem Krieg“ sei „zum allergrößten Teil“ darauf zurückzuführen, daß man „im Neuaufbau der anthroposophischen Arbeit [...] hinreichend viel zu tun hatte“. Ob dies eine Erklärung ist, mag dahingestellt bleiben, eine Entschuldigung ist es nicht. Jochen Siemer ‚/B‘Uwe Werner: „Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus“. Oldenbourg-Verlag, München 1999. 473 S., 98 DM