: Eine unabhängige, verbraucherfreundliche Alternative
■ Nach einem Gegenvorschlag von Ex-BGA-Chef Fülgraff soll eine neue, „abgespeckte“ Bundesbehörde den gesundheitlichen Verbraucherschutz in den Mittelpunkt stellen
Auch Sozialdemokraten tun sich schwer, jenem Politiker zu widersprechen, „der endlich handelt“. HIV-Show-Star Horst Seehofer (CSU) hatte die unpassende Gelegenheit genutzt, eine Bundesoberbehörde an die Kandare zu nehmen, die der Regierungskoalition nicht etwa deswegen ein Dorn im Auge war, weil sie zu „industriefreundlich“ gewesen wäre. Vielmehr haben Seehofers CDU-Amtsvorgängerinnen immer wieder versucht, verbraucherfreundliche, unbequeme Vorschläge aus dem Berliner BGA abzublocken.
Bei aller auch berechtigten Kritik an der Arbeit des Bundesgesundheitsamtes in den letzten zwölf Jahren, so meint der frühere BGA-Präsident Georges Fülgraff, braucht die Republik eine starke, nicht nur wirtschafts-, sondern auch politikunabhängige Behörde zum gesundheitlichen Verbraucherschutz. Im Auftrag von Teilen der SPD-Bundestagsfraktion hat er einen detaillierten Gegenvorschlag zu Seehofers Plänen vorgelegt, das BGA als Einheit aufzulösen und die einzelnen Institute direkt unter die Aufsicht des Ministeriums zu stellen. Nach dem Fülgraff-Plan soll ein neues, insgesamt „abgespecktes“ Amt, etwa unter der Bezeichnung „Bundesanstalt für Gesundheitsschutz“, geschaffen werden, das von einigen Aufgaben entlastet wird und andere hinzuerhält. Einige Teile des bisherigen BGA sollen dem Umweltbundesamt zugeschlagen werden.
Doch wer nun gedacht hatte, endlich verfüge die Opposition über einen Ansatz, um eigenes Profil zu entwickeln und dem Aktionismus-Minister Paroli zu bieten, rieb sich verwundert die Augen. Bis heute ist noch nicht endgültig klar, ob sich Vernunft und Verbraucherschutz bei den Sozialdemokraten gegen ganz andere Interessen durchsetzen. Vor allem der Abgeordnete Karl-Hermann Haack versteht sich nämlich zuallererst als Sprachrohr der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei.
Lieber wirklichkeitsfremd durch Mikroskope schauen
Die will zum Ausgleich für herbe Beamten-Verluste in Bonn dortselbst mal eben einen „Wissenschaftsstandort“ schaffen und möglichst viele Dienststellen von der Spree an den Rhein verlagern. Mit einer multidisziplinären Behörde, die in Berlin tatsächlich in eine vorhandene „Wissenschaftslandschaft“ eingebettet ist, geht dies aber nicht von heute auf morgen. Schon die „Föderalismus“- Kommission hatte den BGA-Umzug vorgeschlagen und war auf qualifizierten Widerstand gestoßen. Haack, wichtiger Mann in der „AG Gesundheit“ der SPD, kalkulierte so: Wenn wir Seehofers Zersplitterung mitmachen, kriegen wir die Einzelinstitute leichter nach Bonn als ein Gesamt-BGA.
Derzeit scheint es indessen so, als könnten sich in der SPD-Fraktion unter Führung ihres stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprechers Horst Schmidbauer jene durchsetzen, die auf die Erfahrungen des SPD-Mannes Fülgraff bauen. Die Fraktion hat nunmehr eine Expertenkommission gefordert, die über die Zukunft eines einheitlichen Bundesgesundheitsamtes entscheiden soll. Gleichzeitig wurde die Regierung aufgefordert, „keine irreversiblen Entscheidungen über das Bundesgesundheitsamt zu treffen, bevor die Ergebnisse des Prüfungsauftrages vorliegen“. Der Beschluß läßt die Frage des Sitzes der Behörde offen.
In dem Antragsentwurf wird auch Kritik an Teilen der bisherigen Arbeit des BGA geäußert. Allerdings sei die Bundesregierung „für die derzeitige desolate Situation mitverantwortlich“, weil sie eine grundlegende Reform des BGA versäumt habe. Deutschland brauche „wegen der Dichte seiner Bevölkerung und Industrie, nicht zuletzt wegen des gestiegenen Gesundheitsbewußtseins seiner Bürger, ein zwar politisch sensibles, aber von unmittelbaren politischen Einflüssen und von wirtschaftlichen Partikularinteressen unabhängiges und vertrauenswürdiges wissenschaftliches Bundesamt für Gesundheitsschutz“.
Fülgraff legt im Detail dar, wie BAGS, die „Bundesanstalt für Gesundheitsschutz“, aussehen soll. Die „wissenschaftliche Risikoabschätzung“ soll von „politisch-normativen Entscheidungen“ getrennt werden. Die auszulagernden forschungsorientierten Teile des Amtes sollen eine ähnliche Rechtsform wie bisherige Großforschungseinrichtungen erhalten und eng mit Hochschulen kooperieren. Sie müßten indessen verpflichtet werden, auch kurzfristig Gutachten für das neu zu organisierende Amt zu erstellen. Gutachtenvergabe soll eine der wesentlichen Aufgaben der verbleibenden Amtsteile sein, ähnlich wie das seit dessen Gründung im Umweltbundesamt der Fall ist.
Einige Mitarbeiter im BGA scheinen indessen nicht zu kapieren, daß in einem solchen Vorstoß die letzte Chance für ein einheitliches und durchsetzungsfähiges Amt liegt. Sie wollen die Auslagerung der Grundlagenforschung nicht akzeptieren und, wie es ein Insider ausdrückt, „lieber weiter wirklichkeitsfremd durch Mikroskope schauen“. Schwierigkeiten bereiten auch die Institutsleiter, die sich schon als besser besoldete Präsidenten sehen, wenn sie nur Seehofer folgen. Zu deren Mißbehagen hatte Fülgraff auch noch gesagt, die bisherige Amts- und Institutsleitungen müßten gestrafft werden. Anders als in den letzten Jahren dürften sich die Institute nicht mehr als „Duodezfürstentümer“ verstehen, sondern müßten als Teil einer Gesamteinrichtung zum Verbraucherschutz handeln. David Singer
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