: Eine soziale Bildungslücke
Kinder von Bildungsbürgern müssen sich um ihre Schulbildung wenig Gedanken machen. Sozial Benachteiligte haben es da viel schwerer. Neueste Studie zeigt: Haben sie den Sprung auf das Gymnasium erst mal geschafft, wird es für sie nicht leichter
VON CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Kein Zweifel: Die soziale Herkunft übt einen entscheidenden Einfluss auf die Schulkarriere aus. Aber verringert sich dieser Effekt mit zunehmendem Alter des Kindes? Der Soziologe und Bildungsforscher Thorsten Schneider von der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg wertete hierzu Daten einer seit über 20 Jahren in Deutschland durchgeführten Befragung aus.
Erwartungsgemäß beeinflusst die soziale Herkunft in starkem Maße, auf welchen Schultyp ein Kind nach Abschluss der Grundschule wechselt. Beachtenswert ist, dass der Einfluss des Elternhauses auf die Schulkarriere auch über den Eintritt in das gegliederte Schulsystem hinaus in der gesamten Schulzeit bestehen bleibt: Die Eltern mit dem höchstem Bildungsniveau haben die größte Chance, dass ihre Kinder das Abitur schaffen. Jedoch ist hier der Einfluss geringer als bei der frühen Entscheidung, das Kind auf ein Gymnasium zu schicken.
Diese Ergebnisse erhielt der Bildungsforscher, indem er Daten des so genannten Sozioökonomischen Panels (SOEP) auswertete – einer Befragung, die seit 1984 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen TNS Infratest durchgeführt wird.
Der Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen ist nicht nur die erste, sondern auch die entscheidende Weichenstellung der Schullaufbahn. Sie erfolgt in Deutschland zu einem sehr frühen Zeitpunkt – wenn das Kind gerade einmal erst zehn Jahre alt ist. „In diesem Alter sind spätere Fähigkeiten zum Teil noch schwer vorhersagbar“, erklärt Schneider.
Ob ein Kind auf das Gymnasium wechselt, hängt sehr stark vom Bildungsgrad der Eltern ab. Während dies nur 14 Prozent der Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss gelingt, schaffen es 68 Prozent der Kinder von Abiturienten. Mütter zukünftiger Gymnasiasten sind kulturell interessiert: 59 Prozent von ihnen gehen mindestens einmal monatlich in die Oper, das Theater oder in eine Kunstausstellung. Zudem sind Eltern mit Abitur relativ reich: Ihr Einkommen ist fast anderthalb mal höher als das der Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss. Auch anderes beeinflusst den Wechsel zum Gymnasium – jedoch in weitaus geringerem Ausmaß: Ist die Familie vollständig, hat wenigstens ein Elternteil einen sicheren Arbeitsplatz und ist das Kind ein Mädchen, so hat es die höchsten Chancen, auf ein Gymnasium zu kommen.
Doch wie geht es weiter? Wer hat die höchsten Erfolgsaussichten, das Abitur zu schaffen? Schneider musste feststellen, dass die Einflüsse der sozialen Herkunft nie ganz abnehmen. Nach sechs Jahren Gymnasialzeit befinden sich noch etwa 80 Prozent der Schüler auf dem Gymnasium, wenn sie der glücklichen Gruppe mit den hohen Zugangschancen für ein Gymnasium angehörten. Bei den anderen sind es lediglich 65 Prozent. Bis zum Abitur verringern sich die Quoten der erfolgreichen GymnasiastInnen noch weiter, und zwar nach demselben sozial selektiven Muster wie auch schon in den vorangegangenen Schuljahren.
Dennoch beeinflusst das Elternhaus die Wahl des Schultyps weitaus stärker als die Abbruchquote. „Je weiter Kinder in ihrer Ausbildung fortkommen, desto mehr gleichen sie sich aneinander an“, stellt Schneider fest.
Wie kann man den außergewöhnlich hohen Einfluss der sozialen Herkunft in Deutschland auf den Bildungsabschluss verringern? „Man sollte die Verzweigung in unterschiedliche Schultypen auf einen wesentlich späteren Zeitpunkt verlegen“, schlägt Schneider vor. „Als zusätzlicher Effekt, der über die Verbesserung der Chancengleichheit im Bildungssystem hinausgeht, würde dies dann auch zu einer Entlastung der Schülerinnen und Schüler führen.“ Die Ängste des Versagens bei abstiegsgefährdeten Schülerinnen und Schülern und die Belastungen bei einem tatsächlichen vorzeitigen Abgang aus dem Gymnasium würden entfallen. Von vielen Schülern würde durch eine verlängerte gemeinsame Schulzeit eine Last genommen.