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„Eine solche Ausreise ist nie freiwillig“

■ Der DDR-Schriftsteller Lutz Rathenow zur Ausreise von Freya Klier und Stephan Krawczyk in die BRD: „Die Verhaftungsaktion hat ihren Sinn aus der Sicht des Staates erfüllt“

taz: Der Liedermacher Krawczyk und seine Frau Freya Klier sind heute in den Westen ausgereist. Wie beurteilen Sie diese Ausreise? Glauben Sie, sie ist freiwillig?

Lutz Rathenow: Eine Ausreise aus dem Gefängnis betrachte ich nie als freiwillig, weil die Entscheidung dort von bestimmten suggestiven Verhältnissen bestimmt wird. Es ist auch nicht so, daß die beiden aus dem Gefängnis entlassen wurden und sich mit ihrem Freundeskreis in der DDR beraten konnten, ob sie ausreisen wollen oder nicht. Außerdem meine ich, daß mit der erfolgten Ausreise das eingeleitete Strafverfahren und die Verhaftungsaktion ihren hauptsächlichen Sinn aus der Sicht des Staates erfüllt haben.

Rechtsanwalt Vogel hat behauptet, die Freigelassenen könnten zwischen der BRD und der DDR wählen. Hat er möglicherweise gelogen und kommen die Leute nur raus, wenn sie in den Westen gehen?

Das kann ich mir auf Grund der Erfahrungen anderer durchaus vorstellen. Ich weiß auch nicht, ob es im Gefängnis eine Alternative „Westen oder Osten“ gibt. Im Gefängnis erlebt man die DDR von iher negativsten Seite – und wenn dann mit längeren Haftstrafen gedroht wird, kann man von keiner freien Entscheidung sprechen.

Ist diese Ausreise also ein Sieg für die DDR-Regierung?

Zweifellos. Aber um das ganz genau einzuschätzen, würde ich mir nicht anmaßen, etwas zu sagen, ohne die Umstände und Bedingungen der Betroffenen selbst genau zu kennen.

Welche Reaktion von oppositionellen Gruppen in der DDR ist jetzt zu erwarten?

Es gibt verschiedene Gruppen mit verschiedenen Haltungen. Bei Krawczyk selbst kommt ja noch die Problematik eines Liederma chers hinzu, der nur noch in Kirchen auftreten konnte. Ich warte jetzt erst mal ab, was mit den fünf anderen, die wegen landesverräterischer Beziehungen angeklagt worden sind, passiert. Ich hoffe, daß Ralf Hirsch, Bärbel Boley, Werner Fischer, Wolfgang Templin und seine Frau rasch in die DDR entlassen werden.

Wie konnte es dazu kommen, daß die beiden so rasch ausgewiesen wurden?

Ich weiß es nicht genau. Doch schon am Beginn dieses ganzen Verfahrens dachte ich schon – und ich denke es noch heute –, daß es vor allem darauf zielt, die beiden aus der DDR hinauszubekommen.

Heute hat das Politbüro getagt. Meinst Du, da besteht ein inhaltlicher Zusammenhang?

Sicher gibt es da einen Wettbewerb zwischen den Bedenken der „inneren Sicherheit“ und des außenpolitischen Ansehens der DDR.

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