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Archiv-Artikel

„Eine neue Zeitrechnung im Verhalten des BND“

ADENAUER Der Historiker Klaus-Dietmar Henke über den ersten Bundeskanzler, den BND und die illegale Bespitzelung der Opposition

Klaus-Dietmar Henke

■ Jahrgang 1947, ist Professor für Zeitgeschichte an der TU Dresden. Seit 2011 gehört er zusammen mit Jost Dülffer, Wolfgang Krieger und Rolf-Dieter Müller der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND an. Zuvor hat er unter anderem von 1992 bis 1996 als Leiter der Abteilung Bildung und Forschung bei der Stasi-Unterlagenbehörde gearbeitet.

taz: Herr Henke, Sie haben BND-Akten gesichtet. Was gibt es Neues?

Klaus-Dietmar Henke: Für die Adenauer-Zeit können wir zeigen, dass die innenpolitische Präsenz des BND ungleich stärker war als damals vermutet. BND-Chef Gehlen und seine engsten Mitarbeiter haben systematisch Informationen aus Parteien, Gewerkschaften, Medien und Wirtschaft gesammelt. Gehlen hat dem Bundeskanzleramt intensiv Informationen aus dem Inland geliefert – etwa über missliebige Journalisten.

Wie eng war die Zusammenarbeit zwischen Kanzleramt und Bundesnachrichtendienst?

Vor allem in der instabilen Frühphase der Bundesrepublik war es für Adenauer und seinen Kanzleramtschef Hans Globke extrem wichtig zu wissen, wo sich etwas in der Opposition tut. Gehlen und Globke hatten über Jahre fast täglichen Kontakt. Das war eine Symbiose. Gehlen warnte Globke, wenn Kampagnen gegen ihn anliefen.

Weil Globke Verfasser der Rassegesetze war …

Ja, umgekehrt half Globke dabei, aus der Organisation Gehlen 1956 den offiziellen Geheimdienst BND zu machen. Die Inlandsausspähung war dabei keine Eigenmächtigkeit von Subalternen. Da lief nichts aus dem Ruder. Das war eine Anweisung von oben im Auftrag Adenauers.

Der Kanzler hat verfassungswidrig den Auslandsgeheimdienst für eigene Zwecke benutzt. Ist das eine feudale Struktur?

Das war eine Demokratie, aber eine autoritäre Kanzlerdemokratie. Adenauer kannte in seinem Machtbewusstsein nur wenige Grenzen. Dieses Bild ist nicht neu, aber nun schärfer konturiert. Was damals möglich war, wäre heute undenkbar. Gehlen hat zum Beispiel seinem CIA-Aufpasser gesagt, dass, falls es zu einer Regierungsbeteiligung der SPD und missliebiger Unionspolitiker in einer Großen Koalition kommen sollte, er einen illegalen Apparat gründen wird.

War das ernst gemeint?

Es passt jedenfalls exakt zu Gehlens erratischem Antikommunismus. Alles, was jenseits des konservativen Mainstreams lag, behandelte er als gegnerisch.

BND-Chef Schindler sagte: „Die kritische Selbstreflexion der Irrungen und Wirrungen der Geschichte schafft Glaubwürdigkeit für heute.“ Besteht die Gefahr, dass die historische Aufarbeitung dieser Geschichte zu einem Teil der PR-Strategie des BND wird?

Interessante Frage. Zunächst ist es für einen Geheimdienst ein großer Schritt, sich so sezieren zu lassen. Das ist nicht schmerzfrei. Aber es stimmt: Mit historischer Aufarbeitung kann man heutzutage Punkte sammeln. Das gilt für Puddinghersteller ebenso wie für Geheimdienste. Die Möglichkeit nicht aufzuarbeiten, gibt es 2013 nicht mehr.

Also?

Der BND will ein dauerhaftes historisches Büro installieren. Das zeigt ein ernsthaftes Interesse an Offenheit. Wir werden also in 40 Jahren erfahren, was der BND in Afghanistan getan hat. Natürlich nicht alles, es wird Restriktionen geben. Aber das ist, im Vergleich zum Verhalten des BND noch vor fünf Jahren, eine neue Zeitrechnung. INTERVIEW: STEFAN REINECKE