: Eine neue Plattform für die Linksliberalen?
■ Wolfgang Rohde im Gespräch
Die diversen Gründungen von „Anti“- , „Mitte-“ oder „Statt-Parteien“ im Bundesgebiet lassen auch manchen Bremer Politiker nicht unbeeindruckt – vor allem im Hinblick auf die Bürgerschafts- und Beiratswahlen im Herbst 1995. Neben „Wir im Viertel“ hat sich in Gröpelingen seit dem SPD-Streit um das Asylschiff eine parteienunabhängige Beiratsfraktion gebildet. Für die sieben „Unabhängigen“ stellt sich die Frage, ob ihre politische Stadtteilarbeit mit dieser Legislaturperiode zu Ende geht oder ob es eine neue Plattform gibt. Wir fragten Wolfgang Rohde, von Beruf Chemiker, Vertreter der „Unabhängigen“ in Gröpelingen, nach dem Stand der Überlegungen.
taz: Die SPD hat seit den 50er Jahren versucht, Volkspartei zu werden. Bei den Wahlen bröckelt sie am Arbeitnehmerflügel zur DVU hin und es bröckelt an der anderen Seiten zu den Grünen hin. Ist das Konzept: „SPD wird Volkspartei und damit potentiell mehrheitsfähig“ gescheitert?
Wolfgang Rohde: Ich denke schon. Beide Gruppen fühlen sich sich nicht mehr in der SPD vertreten, der rechte und der linke Rand des Arbeitnehmerflügels. In den Betrieben war früher einmal die Betriebsgruppenarbeit das politische Standbein der SPD, die gibt es fast nicht mehr.
Ab wann waren Sie SPD-Mitglied?
Seit 1970.
Erinnern Sie sich noch, mit welchen Vorstellungen und Hoffnungen Sie eingetreten sind?
Ich wollte etwas bewegen. Das ist zu Anfang auch möglich gewesen, aber dann ist der Apparat beherrschend geworden.
Was haben Sie denn bewegt?
Ich wollte für die Bevölkerung hier vor Ort in Gröpelingen eine gesellschaftpolitische Verbesserung erreichen. Die Gesamtschule sollte ja weg von dem Dreiklassen-Schulmodell führen, ich wollte mehr Bürgerbeteiligung, Umweltschutz.
Nun kann ja eine neue Gruppierung heute nicht an den programmatischen Forderungen der SPD der 70er anknüpfen.
Überhaupt nicht mehr. Heute muß man vor allem wirtschaftspolitisch denken, den Umweltschutzgedanken muß man auch unter dem ökonomischen Aspekt betrachten. Aber auch darin versagt die SPD. Sie ist eine reine Staatspartei geworden, über 60 Prozent der Mitglieder sind im Öffentlichen Dienst. Sie erreicht weder die Arbeitnehmer noch die Selbständigen. Wir treten zum Beispiel auch für ein Handelszentrum hier in Gröpelingen/Oslebshausen ein. Wir brauchen Leute in der Politik, die auch aus der freien Wirtschaft kommen und von der Sache etwas verstehen und nicht nur Leute aus Beamtenstuben, die das vom Schreibtisch her kennen.
Sie sind der Ansicht, daß in Zeiten der Wirtschaftskrise die Ökologie zeitweise etwas zurücktreten muß – auch im Interesse der Arbeitsplätze?
Nicht zurücktreten, es muß eine gleichwertige Bedeutung haben. Man darf es aber nicht an Ideologien aufhängen. In der SPD ist doch die Fach- und Sachkompetenz mittlerweile verloren gegangen.
Das Modell Statt-Partei ist in aller Munde. Wenn die sich bundesweit gründen – sind Sie dabei?
Nee. Ich möchte mich mehr links-liberal orientieren. Auf kommunaler Ebene arbeiten wir gut mit den CDU- Vertretern zusammen, aber auf gesamtbremischer Ebene oder in der Diskussion um den 218 etwa kann ich mir das nicht vorstellen. Meine Interessen gehen mehr in Richtung grün, in einigen Fragen auch eher liberal.
Eine neue Sammlungsbewegung ist immer in Gefahr, auch die ewigen Nörgler und Verlierer anzulocken...
Ich sehe diese Gefahr. Aber bei der letzten Bürgerschaftswahl haben sehr viele SPD-Wähler aus Protest DVU gewählt. Das sind keine DVU-Anhänger. Die wollen wir zurückholen.
Ist Herbert Brückner (der nach dem Schwarzgeldklinik-Skandal ausgeschiedener SPD-Gesundheitssenator) bei Ihnen dabei?
Ob er dabei ist, wird sich zeigen. Er hat zumindest gesagt, daß er das ziemlich interessant findet.
Wird es bald einmal eine öffentliche Veranstaltung für Ihr Projekt geben?
Mitte Februar, wahrscheinlich, haben wir ein öffentliches Forum im Nachbarschaftszentrum Ohlenhof. Int.: K.W.
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