: Eine neue Miliz im Libanon
■ In der schiitischen Gruppierung „Partisanen der Armee“ sammeln sich Amal–Mitglieder aus Westbeirut / Vollständig von Syrien ausgerüstet, soll die neue Miliz in Gebiete einrücken, die die syrischen Truppen nicht kontrollieren können / Ihr Ziel ist es, den Bewegungsspielraum der Palästinenser einzuengen
Aus Beirut Petra Groll
Im Libanon, nicht gerade arm an paramilitärischen Organisationen, gibt es eine neue Miliz: Die „Partisanen der Armee“. Nach mehrwöchigem Rätselraten wurden letzte Woche in Beirut erstmals Details über diese Gruppierung bekannt, deren Charakter, wie schon der Name sagt, ein rein militärischer ist. Hinter den „Partisanen“ verbergen sich ehemalige, „arbeitslos“ gewordene Milizionäre der Schiitenbewegung Amal aus Westbeirut, ihre Aufgabe ist, in Gebiete einzurücken, die die syrischen Soldaten nicht so ohne weiteres kontrollieren können. Der Begriff „Partisanen der Armee“ tauchte Anfang März erstmals auf, kurz nachdem eine etwa 12.000 Mann starke syrische Spezialtruppe nach Westbeirut einmarschiert war und die sechstägigen Kämpfe zwischen Amal einerseits und den Milizionären der Kommunistischen Partei und der drusischen PSP andererseits beendet hatte. Mehr als siebzig Büros und Niederlassungen der verschiedenen Milizen waren auf Anordnung der Syrer sogleich geschlossen, Kämpfer und schwere Waffen der Parteien aus dem Westteil der libanesischen Hauptstadt abgezogen, ein Großteil der verbliebenen Waffen– und Munitionsbüros von den Syrern beschlagnahmt worden. Arbeitslose Milizionäre in Westbeirut Während die drusischen Milizionäre in ihre Heimatdörfer in den Bergen südöstlich von Beirut zurückkehrten, tauschten die zah lenmäßig schwächeren Partisanen der Kommunistischen Partei den Kampfanzug mit ziviler Kleidung. Die Milizionäre von Amal zogen sich zum Großteil in die südlichen Vororte Beiruts zurück, die hauptsächlich von Schiiten bewohnt werden und die, drei Monate nach dem Einmarsch der Syrer, bis heute nicht deren Kontrolle unterstehen. Die Zukunft einiger hundert junger Männer, die sich quasi hauptberuflich als Milizionäre der Schiitenbewegung verdingt hatten, schien äußerst unsicher. Für die Freiwilligen unter den Amal–Kämpfern stellte die Auflösung der verschiedenen militärischen Abteilungen der Miliz kein Problem dar. Da sie ihre Posten nur beziehen müssen, wenn die Partei Alarm schlägt, verstauten sie Uniform und Handfeuerwaffen in ihren Wohnungen. Jederzeit können die Freiwilligen wieder auf den Plan gerufen werden. Nach Angaben des Militärchefs der Sektion Westbeirut, Hassan Haschem, sind die hauptamtlichen Milizionäre entweder gleich zu Amal–Einheiten im Südlibanon abkommandiert worden, oder aber in die südlichen Vororte bzw. in Ausbildungszentren in der ostlibanesischen Bekaa–Ebene. Etwa zwei Drittel der aus Westbeirut abgezogenen Amal–Kämpfer sollen laut Hassan Haschem im Süden eingesetzt werden, wo sie der von Israel abhängigen „Südlibanesischen Armee“ oder den Palästinensern gegenüberstehen. Einige wenige vertauschten ihre Milizionärsuniformen mit denen der regulären libanesischen Armee und wurden in die aus schiitischen Bevölkerungskreisen rekrutierte 6. Brigade integriert. Diese Brigade kämpft seit dem Ausbruch des „Lagerkrieges“ gegen die Palästinenser im Jahre 1985 Seite an Seite mit Amal. Bereits kurz nach dem syrischen Einmarsch kursierten Überlegungen in Amal–Kreisen, eine neue paramilitärische Organisation ins Leben zu rufen. Die Idee der Gründung einer weiteren Miliz war, wie jetzt bekannt wurde, bei syrisch–libanesischen Gesprächen über eine Durchsetzung des syrischen Sicherheitsplans in Damaskus aufgekommen. Hauptmotiv war die Überlegung, daß es in einigen Landesteilen nicht einfach sein würde, syrische Truppenkontingente zu stationieren. Das gilt zum einen für die südlichen Vororte Beiruts, eine Hochburg der pro–iranischen Schiitenbewegung Hizballah, zum anderen für Saida und die südlich der Stadt liegenden Gebiete. Die in Saida ansässige „Nasseristische Volksbewegung“ (OPN) steht zu ihrem traditionellen Bündnis mit PLO–Chef Arafat und hat sich wiederholt gegen einen Einmarsch der Syrer ausgesprochen. Vor allem jedoch gilt die südlibanesische Stadt als die „rote Linie“, die Israel den Syrern bei deren Einmarsch im Südlibanon gesetzt hatte (vgl. taz vom 21.5.). Eine libanesische, den Machthabern in Damaskus loyale Truppe mußte also her: Die „Partisanen der Armee“. In den Fußstapfen von Amal Die neue Miliz wird vollständig von den Syrern ausgerüstet. Für Nabih Berri, gleichzeitig Staatsminister für den Südlibanon, Justizminister und Chef der Schiitenbewegung Amal, besteht ihre Aufgabe vorrangig in der Wahrung von Sicherheit und Ordnung, sollten sich die Israelis irgendwann aus den Teilen des Südlibanon zurückziehen, die sie noch besetzt halten und zur „Sicherheitszone“ erklärt haben. Die „Partisanen der Armee“ sind auch Berri unterstellt, der Oberst Lotfi Jaber, bisher Direktor der Armeeverwaltung und ehemaliger Kommandeur der 6. Brigade, zum Chef der neuen Gruppierung ernannte. Berri bestreitet jede Verbindung zwischen den „Partisanen der Armee“ und seinen Amal–Milizen auf das Heftigste. Er besteht darauf, daß die neue paramilitärische Organisation Teil der regulären Armee ist, die sich gleich dem Militär frei, bewaffnet und uniformiert bewegen kann. Eine erste Einheit der „Partisanen der Armee“ wurde letzte Woche im Südlibanon stationiert, nachdem sie ihre Ausbildung in Westbeirut abgeschlossen hatte. Über die Bewaffnung der 700 Mann starken Truppe wurden bislang noch keine Einzelheiten bekannt. Sie bezog ihre Positionen in einigen Bergdörfern östlich von Saida, die bis zum Oktober 1986 von Christen bewohnt und in einer Entlastungsoffensive für die eingeschlossenen Lager von den Palästinensern eingenommen worden waren. Die strategisch wichtigen Positionen liegen direkt über den Palästinenserlagern Miyeh– Miyeh und Ain–el Helwue, der größten Konzentration palästinensischer Flüchtlinge im Libanon und zugleich Hochburg von PLO–Chef Arafats Organisation Al Fatah. Die „Partisanen der Armee“, so hieß es in Beiruter Militärkreisen, sollen verhindern, daß „die Palästinenser ihren militärischen Wirkungskreis über ihre Camps hinaus ausdehnen“. Mit genau dieser Begründung hatte die Schiitenbewegung Amal in den vergangenen zwei Jahren den „Lagerkrieg“ gegen die Palästinenser im Libanon geführt, sich jedoch auf militärischem Terrain nicht durchsetzen können.
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