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Eine lange Leitung

■ Ein Rückblick auf 25 Jahre „Heißer Draht“ zwischen den USA und der UdSSR

Ahmad Taheri

Man schreibt das Jahr 1963. John F.Kennedy ist Präsident der USA. Nikita Chruschtschow regiert die Sowjetunion. Der 1.September dieses Jahres ist ein besonderer, ja fast historischer Tag. Im geheimsten aller Geheimräume des Pentagon, des amerikanischen Verteidigungsministeriums, steht eine nagelneue Telexmaschine. Die Maschine kommt aus der DDR und ist mit lateinischen und kyrillischen Buchstaben ausgestattet.

Der US-Sergeant Robert Libbey tippt einige Worte in die Tasten des Fernschreibers. Die Impulse gehen mit Lichtgeschwindigkeit von Washington durch ein unterirdisches Kabel nach New York, von dort nach Neu Schottland, von wo aus das Kabel bis England unter Wasser liegt; dann weiter über Kopenhagen, Helsinki, Leningrad bis nach Moskau.

In einem Kellerraum des Kreml steht die „Gegen-Maschine“. Sie ist ein amerikanisches Fabrikat aus Chicago und hat wie das DDR-Modell im Pentagon - zwei Schriften. Eine Schar von hochrangigen Parteifunktionären, Offizieren und Spezialisten blickt erwartungsvoll auf den Fernschreiber. Plötzlich rattert der Apparat, und auf der Papierrolle erscheinen die Worte, die im gleichen Augenblick Sergeant Libbey im fernen Washington in die Tasten tippte: „The quick brown fox jumped over the lazy dog's back.“ - „Der schnelle braune Fuchs sprang über den Rücken des faulen Hundes.“

Die rätselhafte Botschaft aus dem Pentagon enthält kein politisches oder militärisches Geheimnis. Sie ist einfach der übliche Testspruch der amerikanischen Fernschreibtechniker, da dieser Satz alle Buchstaben des englischen Alphabets enthält. Die Sowjets sind hoch erfreut und antworten mit ähnlichem Unsinn - in russischer Sprache und kyrillischer Schrift, versteht sich. Kurz darauf stellen beide Seiten fest, nun sei alles klar.

So wurde vor 25 Jahren die „Hot-Line“, der „Heiße Draht“, als erste direkte Verbindung zwischen dem Pentagon und dem Kreml in Betrieb genommen. Seitdem steht er Tag und Nacht bereit, damit der amerikanische Präsident und der sowjetische Staatschef durch direkten Kontakt die Gefahr eines versehentlich ausgelösten atomaren Krieges rechtzeitig abwenden können.

Die Menschheit verdankt indessen die „Hot-Line“ weder dem Pentagon noch dem Kreml, sondern zwei US-Bürgern. Der erste von ihnen, Thomas Schelling, Wirtschaftsprofessor an der Universität Harvard, kam Ende der fünfziger Jahre durch die Lektüre eines Romans, der später die Vorlage des berühmten Films „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ abgab, auf die Idee der „Hot-Line“. Schelling wandte sich an das amerikanische Außenministerium, trug seine Idee vor und bat um Stellungnahme. Die Politiker in Washington winkten höflich, aber bestimmt ab. Man wolle „aus dem Weißen Haus keine Zweigstelle des Kreml machen“. Kampagne für den

heißen Draht

Es war die Zeit des Kalten Krieges. Das Mißtrauen den Sowjets gegenüber war noch zu groß, als daß man eine direkte Verbindung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml hätte zustimmen können. Außerdem fürchteten die Beamten im Außenministerium, der Präsident könnte über ihre Köpfe hinweg den politischen Kurs im Alleingang bestimmen.

Der zweite Bürger, Jess Borkin, Herausgeber des New Yorker Magazins 'Parade‘, hatte mehr Glück. Er sprach 1959 mit einem befreundeten General vom Verteidigungsministerium darüber, daß eine direkte Verbindung zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Staatschef notwendig sei. Als der General positiv reagierte, begann Gorkin mit einer öffentlichen Kampagne für die „Hot-Line“. Als erstes schrieb Gorkin in seinem Magazin einen Offenen Brief an den damaligen US-Präsidenten, General Eisenhower, und dessen sowjetischen Amtskollegen, Nikita Chruschtschow. Er beschwor darin die beiden mächtigsten Männer der Welt, durch persönlichen Kontakt der Gefahr einer atomaren Katastrophe vorzubeugen, und beendete seinen Brief mit den Worten: „Sollte die Welt aus Mangel an einem Telefongespräch zugrundegehen?“

Der Brief wurde von den Lesern des Magazins mit Begeisterung aufgenommen und löste bald eine leidenschaftliche Diskussion in der amerikanischen Öffentlichkeit aus. Auch in der Sowjetunion fand der Brief ein beachtliches Echo: Die beiden offiziellen Zeitungen des Landes, 'Prawda‘ und 'Iswestia‘, druckten den Brief ab und versahen ihn mit einem zustimmenden Kommentar.

Ein Jahr später, 1960, erzielte Gorkin einen erneuten Erfolg. Die beiden Präsidentschaftskandidaten, John F.Kennedy und Richard Nixon, sprachen sich im Magazin 'Parade‘ dafür aus, eine direkte Leitung nach Moskau einzurichten. Auch der sowjetische Parteichef Chruschtschow, der im selben Jahr nach New York gekommen war, um an einer Sitzung der Vereinten Nationen teilzunehmen, unterstützte in einem persönlichen Gespräch mit Gorkin dessen Initiative.

Doch es war erst die „Kuba-Krise“ im Oktober 1962, die die Supermächte von der Notwendigkeit der „Hot-Line“ überzeugte. Anfang Oktober 1962 berichteten kubanische Flüchtlinge dem amerikanischen Geheimdienst CIA von geheimnisvollen militärischen Bauten im Westen Kubas. US-Aufklärer überflogen die mittelamerikanische Insel und brachten eine reiche Fotoausbeute heim. Die Auswertung der Fotos zeigte nicht nur Raketenrampen, sondern auch eine große Anzahl an Mittelstreckenraketen und Kampfflugzeugen - nur 150 Kilometer von den USA entfernt. Zugleich wurde in Washington bekannt, daß mehrere sowjetische Schiffe unterwegs waren, um Kuba mit weiteren Waffen zu versorgen. Das Weiße Haus war entschlossen, der Aufrüstung der Insel unweit der amerikanischen Ostküste Einhalt zu gebieten. Am Abend des 22.Oktobers 1962 verkündete Präsident John F.Kennedy über alle Rundfunk- und Fernsehsender die Blockade Kubas. Hallo Nicky

Im amerikanischen Bundesstaat Florida, unweit der kubanischen Gewässer, trafen in rascher Folge US-Infanterie und Luftwaffeneinheiten ein. Im Karibischen Meer wurden 40 Kriegsschiffe und 20.000 Mann zusammengezogen, auf daß kein sowjetisches Schiff ohne Kontrolle kubanische Häfen erreiche. Vier Tage lang, zwischem dem 23. und 27.Oktober, stand die Welt am Rande eines Krieges. In der hochexplosiven Situation hätte ein zufälliger Schußwechsel zwischen den gegnerischen Schiffen oder gar eine falsche Nachricht genügt, um eine Katastrophe auszulösen.

Die Kuba-Krise war eine Warnung. Während der vier entscheidenden Tage war die Entwicklung der Ereignisse schneller als der langsame Telegraph, der damals zur Verfügung stand. Bis eine Nachricht aus dem Weißen Haus sachgemäß verschlüsselt, von den Kabelgesellschaften abgefertigt, nach Moskau übermittelt, dort entschlüsselt und übersetzt war, vergingen Stunden. Die Idee eines „Heißen Drahtes“ zwischen Washington und Moskau erschien nun als geeignete Lösung des Problems.

Acht Monate später, im Juni 1963, war es so weit. Amerikaner und Sowjets unterzeichneten ein Abkommen über die Einrichtung einer direkten Fernschreibverbindung zwischen ihren beiden Hauptstädten. Die Geheimverhandlungen waren am Rande der Abrüstungskonferenz in Genf geführt worden. Drei Monate nach Unterzeichnung des Abkommens war der „Heiße Draht“ betriebsbereit.

Die Einrichtung des „Heißen Drahtes“ wurde damals als großes Ereignis gefeiert. Die Begeisterung der internationalen Presse kannte keine Grenzen. „Kabel des Friedens“, „Sieg der Vernunft“, „Vorbote einer friedlichen Welt“, „Ende der Eiszeit“ oder „Historische Wende“ lauteten die Überschriften. Über die technische Beschaffenheit des „Heißen Drahtes“ wußten nur wenig Bescheid. Wie sich die meisten Leute die Verbindung zwischen den beiden wichtigsten Blöcken der Welt vorstellten, beschrieb der amerikanische Wissenschaftler William L. Ury: „Man stellt sich vor: Auf dem Schreibtisch der beiden mächtigsten Männer der Welt, Kennedy und Chruschtschow, steht jeweils ein rotes Telefon. Wenn der Apparat bei Kennedy klingelt, dann weiß er, daß sein Amtskollege im Kreml an der Leitung ist. „Hallo, John!“ - „Hallo, Nicky!“ - „Wir sollten miteinander reden, alter Knabe, es gibt wieder Ärger!“ - „Okay, laß hören!“

Wie oft und bei welchen Gelegenheiten der „Heiße Draht“ tatsächlich benutzt wurde, wissen nur die Eingeweihten im Weißen Haus und im Kreml. Doch trotz der strengen Geheimhaltung sind einige „Hot-Line„-Kontakte bekannt geworden. So waren es wahrscheinlich die Sowjets, die als erste den „Heißen Draht“ benutzten. Anlaß dazu war der Sechs -Tage-Krieg zwischen Israel und Ägypten im Juni 1967. Der Kreml hatte die Information erhalten, daß die Amerikaner an der Bombardierung ägyptischer Luftwaffenbasen beteiligt waren. Der sowjetische Premierminister Kossygin sandte über die „Hot Line“ eine Botschaft an die Amerikaner. „Kossygin fragte“, erinnert sich McNamara, der damalige US -Verteidigungsminister, an jenen denkwürdigen Tag, “'wenn ihr einen Krieg haben wollt, könnt ihr ihn haben‘. Wir waren verblüfft. Wir sagten ihm, daß wir nicht an der Bombardierung der ägyptischen Luftwaffe beteiligt waren und daß er seine Informationen überprüfen solle. Gott sei Dank, daß Kossygin klug genug war, die „Hot-Line“ zu benutzen, statt gleich militärisch zu reagieren.“

Der Krieg zwischen dem mit der Sowjetunion befreundeten Indien und Pakistan, einem Verbündeten der USA, im Jahre 1971 gab - so weit bekannt - zum zweiten Mal Anlaß, die „Hot -Line“ in Anspruch zu nehmen. Acht Jahre später, im Dezember 1979, wurde der 'Heiße Draht‘ anläßlich des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan erneut benutzt. Die letzte bekannte Verbindung gab es 1984. Die Amerikaner informierten die Sowjets von ihrem Vorhaben, die libanesische Küste unter Beschuß zu nehmen - als Vergeltung für die anti -amerikanischen Aktionen schiitischer Extremisten. Inzwischen wurde die „Hot-Line“ mehrfach modernisiert. Seit 1972 gibt es neben dem alten „Heißen Draht“ eine ständige Satelliten-Verbindung, die an ein Computernetz angeschlossen ist. Die Möglichkeit, im Krisenfall miteinander Kontakt aufzunehmen, ist also doppelt abgesichert. Ob deshalb die Menschheit ruhiger schlafen kann, bleibt allerdings fraglich.

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