„Eine gewisse Bissigkeit gehört dazu“

■ Traumfrau Zeitung: Das Projekt für eine neue, überregionale Frauenzeitung gewinnt an Kontur / Geplant ist ein aktuelles, politisch-kulturelles Magazin / Initiativgruppen in Frankfurt und Berlin / Aber woher kommt das Geld?

Die Freundinnen finden die Idee einfach nur gut. Eine neue überregionale Frauenzeitschrift - feministisch, radikal, mit „lustvollem“ Layout und bissigen Kommentaren - wer könnte etwas dagegen haben? So sind die Initiatorinnen zuversichtlich, daß sich ihre Zeitschrift auf dem Markt durchsetzen könnte. „Denn 'Emma‘ lesen die meisten, wenn sie sie noch lesen, widerwillig. Und die taz-Frauenseite ist einfach zu wenig“, sagt Kerstin Lück von „Fazit“ (feministisch-alternative Zeitungsinitiative).

Die Idee entstand bei zwei Ex-Redakteurinnen der Berliner 'Primadonna‘, einer Zeitschrift, die selbstbewußt mit schönem Layout und anspruchsvollen, oft poetischen Texten die neue Kultur der Frauen- und Lesbenszene darstellte. Bereits im Mai 1988 gab es das erste Treffen mit über hundert Frauen. Doch dort wurden mehr Fragen aufgeworfen als Anworten und Strategien gefunden. Die „Organisationsfrage“ stellte sich als äußerst schwierig heraus. Wie sollte sich das Verhältnis von Zentral- zu Regionalredaktionen gestalten? Was würde mit den bestehenden lokalen Frauenzeitungen passieren? Wie ließe sich die gewünschte „Basisanbindung“ verwirklichen? Auf dem jüngsten Treffen in Hamburg fand das Modell der Berlinerinnen nun doch den größten Zuspruch. Sie wollen eine Hauptredaktion mit festem Sitz (gedacht ist an Frankfurt oder Berlin) installieren und die Regionalredaktionen nach und nach aufbauen. Frauen aus dem Umkreis des Frankfurter Frauenblattes favorisieren dagegen das umgekehrte Vorgehen: in den Regionen Nord, Mitte, Süd und Berlin soll gleichzeitig losgelegt werden; die Hauptredaktion würde sich aus dem Kreis der Regionalredakteurinnen zusammensetzen. Anfang Juni etabliert sich jedenfalls eine zehn- bis 15köpfige „Planungsgruppe“, die diese Fragen klären soll.

Doch dann ginge die Arbeit für die optimistischen Zeitungsgründerinnen erst richtig los. So naiv sind sie nicht, um zu nicht zu wissen, daß ohne Startkapital gar nichts läuft. „Mindestens eine halbe Million“, lautet ihre Prognose. Die Neue soll eine Profi-Zeitschrift werden, mit hohem technischen Niveau und klarer Arbeitsteilung. Denn die Zeiten der „alternativen Selbstausbeutung“ der 70er Jahre sind für die Frauen von Fazit klar vorbei. 1.800 Mark monatlich sind für sie das mindeste, aber das als „Einheitslohn natürlich“.

Kerstin Lück und Barbara Merziger arbeiten bei 'Primadonna‘. Ulrike Helwerth ist unter anderem als taz -Autorin bekannt.

taz: Ihr möchtet eine neue überregionale Frauenzeitung auf die Beine stellen. Das klingt erst mal verlockend. Haltet ihr euer Projekt für realistisch? Glaubt ihr, daß es auf dem Markt bestehen kann?

Ulrike Helwerth: Was heißt hier realistisch? Als die taz anfing, wieviele Leute haben ihr da eine Chance gegeben? Wir betreiben die Sache so ernsthaft wie möglich. Die Reaktionen von Frauen, die nicht im Mediengeschäft sind, sind fast immer: finden wir gut, macht mal, das brauchen wir.

Nun sind die ganzen Alternativzeitungen Mitte der 70er Jahre gegründet worden: taz und 'Pflasterstrand‘, aber auch 'Courage‘ und 'Emma‘. Ich denke, es gibt große Probleme, heute von Null anzufangen - angesichts des technischen Standards, der Voraussetzung ist. Wie wollt ihr mit den bekannten Schwierigkeiten einer Zeitungsgründung umgehen?

Kerstin Lück: Es ist uns klar, daß wir ein sehr hohes Startkapital brauchen, um die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit wir auch als Monatszeitung halbwegs aktuell sein können. Wir rechnen mit einer halben Million. Ich denke, es ist wichtig, ein anderes Format und ein anderes Outfit zu haben. Uns geht es vom Inhalt und Aussehen um eine Zeitung, die eben nicht anschließt an die Zeitungsgründungen der 70er Jahre.

Zum Starkapital, gibt es da Chancen? Wer käme als Geldgeberin oder Geldgeber in Frage?

Ulrike Helwerth: Wir haben natürlich noch keine festen Zusagen. Sobald ein festes Modell steht, wollen wir uns darum intensiv kümmern. Sobald die Organisationsstruktur steht, wollen wir die erste Spendenkampagne starten, uns nach Mäzeninnen umsehen. Außerdem informieren wir uns darüber, welche Stiftungsgelder für uns in Frage kommen könnten. So haben wir den Kontakt zur Frauen-Anstiftung bereits hergestellt. Dann denken wir, daß hier in Berlin sich einiges über die Berlin-Förderung machen läßt. Und es gibt die neue Senatskonstellation, die solch ein Projekt begünstigen könnte.

Zu dieser Modell-Diskussion: Wie ist jetzt der Stand der Dinge?

Barbara Merziger: Es soll eine Mantelzeitung werden mit einem überregionalen Teil und verschiedenen Regionalteilen. Außerdem soll ein wissenschaftlicher Teil einliegen. Das wäre tatsächlich etwas Neues. Denn in den Frauenzeischriften wird viel zu wenig über feministische Forschung berichtet. Tja, und dann wollen wir diese Zeitung lustvoll machen. Nicht nur, daß wir Spaß daran haben, sondern daß Outfit und Layout lustvoll sind.

Was heißt denn das?

Barbara Merziger: Der Wissenschaftsteil könnte beispielsweise in einer anderen Farbe erscheinen und er könnte zum Aufschneiden sein, um die Neugier zu wecken.

Ihr hättet also eine Zentralredaktion in Berlin und die Regionalredaktionen lieferten zu?

Ulrike Helwerth: Wir hatten auch das Modell von wechselnden Zentralredaktionen. Aber finanziell ist das zu aufwendig. Die Hauptredaktion muß an einem festen Ort sein. Die Regionalredaktionen sollen nach und nach aufgebaut werden. Das brachte uns aber schon den Vorwurf ein, wir, die Berlinerinnen, seien zu zentralistisch.

Woher kommt dieser Vorwurf? Eine Zeitung muß gut organisiert sein und straff arbeiten. Ich nehme nicht an, daß ihr ein Blättchen machen wollt mit einer Dreitausender -Auflage, was frau noch so nebenbei machen kann.

Kerstin Lück: Das liegt in der Geschichte dieses Projekts. Die Idee kam aus Berlin, dort bildete sich gleich eine Gruppe. Für viele aus der „Provinz“ entstand der Eindruck, daß wir aus den Großstädten ihnen etwas überstülpen wollen. Es spielt also das Stadt-Land-Gefälle mit hinein.

Barbara Merziger: Für viele gibt es die Schreckensvorstellung, daß, ähnlich wie 'Emma‘, ein Blatt entsteht, bei dem zwei oder drei Frauen ganz selbständig entscheiden und keine Basisanbindung mehr da ist.

Nun ist das eine ganz schwierige Sache mit der Basisanbindung. Ich denke, die Ära der klassischen Alternativzeitungen ist abgelaufen. Wenn Du professionell arbeiten willst, mußt Du Entscheidungsstrukturen haben. Wäre es für diese Gruppe aus Berlin nicht sinnvoller, klar zu sagen, wir wollen dieses Projekt so machen, wir machen die Vorgaben?

Kerstin Lück: So extrem sagen wir es nicht, aber tendenziell schon. Wir haben auf dem letzten Treffen in Hamburg sehr dafür gekämpft, daß endlich eine überregionale Planungsgruppe entsteht. Wir sagen bloß nicht, es muß unbedingt in Berlin sein. Wir könnten uns auch sehr gut Frankfurt als Sitz der Hauptredaktion vorstellen. Und wir sagen nicht, wir sind die Redaktion.

Ulrike Helwerth: Wir sind auf die Mitarbeit vieler Frauen angewiesen. Es ist nicht nur ein taktischer Grund, um potentielle Leserinnen nicht zu vergrätzen. Mein Wunsch ist, daß wir kompetente Frauen hinzugewinnen.

Barbara Merziger: Wir denken auch an eine Art Herausgeberinnenkreis. Dort können Kritik und Änderungsvorschläge eingebracht werden. So eine Art Beirat.

Wie würde jetzt das inhaltliche Profil aussehen? Worin würde sich eure Zeitung von 'Emma‘ unterscheiden?

Kerstin Lück: Zum einen durch die Bearbeitung von feministischer Theorie und Forschung. Zum anderen durch ganz viele politische Kommentare. Eine gewisse Bissigkeit gehört dazu. Dann durch eine andere Perspektive. Ich denke, es gibt viele Perspektiven, Sachen zu beurteilen. 'Emma‘ sagt: die Superfeministin denkt so.

Ulrike Helwerth: Wir werden nicht nur eine wissenschaftlich -theoretische Zeitschrift sein. Wir wollen ein aktuelles, politisch-kulturelles Magazin. Wir wollen zu den laufenden Ereignissen Stellung nehmen, und dabei geht es nicht nur um die klassischen Frauenthemen.

Wenn ihr jetzt anfangen könntet mit der Zeitungsplanung für den Juni, welche Themen gäbe es, welche Kommentare?

Kerstin Lück: Sicher wären es auch der Prozeß gegen Ute und Melanie Loh auf Zypern. Mich würde dabei interessieren, was ist da eigentlich passiert mit Touristinnen in den letzten Jahren. Dann hätten wir regelmäßig den Ingrid-Strobl-Prozeß verfolgt. Dann wäre auf jeden Fall ein Thema: 20 Jahre Christopher-Street-Day.

Barbara Merziger: Zu Memmingen ist zu sagen: Wir würden nicht das Hauptaugenmerk auf den Frauenarzt Theissen legen, sondern zum Beispiel recherchieren, was es an altervative Abtreibungsmethoden gibt.

Alternative Abtreibungsmethoden!?

Barbara Merziger: Ja, weil wir finden, daß die Frauen in der gesamten Berichterstattung zu kurz kommen. Im Zuge der allgemeinen Restriktionen ist das einfach die Frage: Was können Frauen noch tun, außer nach Holland zu fahren?

Im Grunde also die aktuellen Themen, die woanders auch abgehandelt werden, nur mit anderen Akzenten. Und im Theorieteil? Was wäre da angesagt?

Ulrike Helwerth: Mir fällt da als erstes eine bissige und brillante Kritik der Affidamento-Theorie aus Italien ein. Denn die wird zur Zeit derartig geschlürft. Diese Begeisterung macht mich erst mal mißtrauisch.

Kerstin Lück: Wichtig fände auch, die Frauen zu interviewen, die beim ersten Mai in Kreuzberg dabei waren. Ständig werden Typen interviewt, diese jungen Revoluzzer. Mich würden die jüngeren Frauen interessieren, die daran beteiligt sind. Welchen Hintergrund haben sie, was wollen sie politisch?

Also euer Blick würde sich vorrangig auf die autonomen Frauen richten?

Ulrike Helwerth: Nein. Wenn wir jetzt mit unserer ersten Nummer herauskommen würden, würden wir den Blick natürlich auch kritisch auf die Berliner Senatorinnen hier richten.

Und Mode, Life-Style und so weiter?

Alle: Ja klar, warum nicht.

Kerstin Lück: Mir liegt am Herzen, daß Sport und Körperkultur, und das hat ja viel mit Body-Styling zu tun, daß darüber geschrieben wird.

Barbara Merziger: Außerdem fehlt in fast allen Frauenzeitschriften das Thema Sexualität. Wie ich vorhin schon sagte, auch dort sollten wir lustvoller rangehen. Gespräch: Helga Lukoscha

Spendenkonto: Barbara Merziger

Stichwort „Fazit“

Stadtsparkasse der Stadt Berlin (West), BLZ 100 500 00

Konto-Nummer 730 198 278