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Eine einzige Katastrophe

■ Zum Mithören: Jede Menge „Stadtuntergänge“ bei Radio Bremen

Glücklicherweise waren es leibhaftige KatastrophenforscherInnen, die vom Untergang der Stadt Los Angeles überrascht wurden. Und glücklicherweise konnten sie sich ausgerechnet in das städtische Rundfunkgebäude flüchten - ins Auge des Taifuns sozusagen. Dort waren sie glücklicherweise sicher - und uns ihre O-Töne.

Fast wäre uns 21-Uhr-Hörerinnen auf Radio Bremen Zwei gestern abend das Herz eng geworden; aus Mitgefühl über Menschen in einer solch scheußlichen Lage. Aber Michael Winter, der Autor der vierteiligen Hörspielcollage „Stadtuntergänge“, deren erster Teil vorgestern gesendet wurde, schonte unsere Nerven. Mit Softjazz und Wetterbericht milderte er die Nachrichten aus dem Funkhaus ab.

Wie wir's von Unterhaltungssendungen gewöhnt sind, bot er uns die Freiheit zur Assoziation. Und auch die vier ForscherInnen über Panik und Naturkatastrophen wandten sich gefaßt ihren Studien zu: Näher könnten sie ihrer Unglücksmaterie ja nie wieder kommen. Nur die Forschungsobjekte waren in diesem Falle sie selbst.

Echte Sensationslust gilt für ein fiktives Hörspiel nicht - abschalten wäre gestern möglich gewesen. Und doch war daran nicht zu denken. Das geschickte Spiel mit der Tragik solcher Untergangs-Szenarien, die wir zwischen Mitgefühl

„Du hast das Gefühl, du kommst von einem anderen Planeten.“

und „sadistischer Wollust“ erleben wurden zur Fessel aus Neugier und aus Nachdenklichkeit.

Insbesondere dann, wenn die Dialoge uns unerwartet von Pompeji und Karthago in die Jetzt-Zeit warfen, geriet das Gefüge der Reality-Imitation ins Wanken. „Du hast das Gefühl, du kommst von einem anderen Planeten“, berichtete eine Forscherin über ihre Rückkehr aus Sarajewo. Unwillkürlich sieht man an sich selbst herunter.

Ist das noch ein Hörspiel? Oder wo beginnt die Fiktion? In meinem Kopf vielleicht - womöglich schon bei den Tagesthemen? Gestern und Heute verschwimmen. Aber die Menschen sind dieselben. Und die Katastrophen.

Und das Schreckliche daran: „Nicht daß Menschen sterben müssen. Sondern daß sie gewaltsam sterben.“ Eva Rhode

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