■ Eine echt notwendige Abrechnung mit dem offiziellen Oktoberfest-Organ: Anstich-Ude und die krachenden Schwarten
Alles schien unvorhersehbar prima begonnen zu haben: „Schon vier Tage vor Eröffnung des Münchner Oktoberfestes“, meldete die Fränkische Landeszeitung am 17.9., „hatte das Großereignis drastische Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Ein Lastwagen mit 900 Kästen Festbier geriet bei Neufahrn auf der Autobahn ins Schleudern und kippte um.“
Der Anblick war erhaben. Milliarden und Aberbillionen Scherben pflasterten den Asphalt. Folge: Totalsperrung. Es hätte damit gut sein können.
Doch der als gemütvoll geltende, in seinen gewichsten Karossen ob der unvorhersehbaren Verzögerung gleichwohl fauchende und furchtlos mosernde Bayer gab sich nicht geschlagen. Er organisierte flugs neues Bier, und bereits am ersten Festtag räumte er auf der Theresienwiese 800.000 Liter des speziellen und exklusiv von Münchner Brauereien gefertigten Bräus ratzfatz weg. Des woar a „Gaudi“, „Bier, Busen, Brezn“ (Bild, 22.9.) eben.
Bis zum 5. Oktober wird das 187. Oktoberfest andauern. Wie es da zugeht, weiß man, ohne zugegen gewesen zu sein. Denn an Münchner Kiosken war lange vor Faßanstich, dem seit 1950 üblichen „O'zapft“-Prozedere, Wies'n – Das offizielle Magazin zum Oktoberfest käuflich zu erwerben, ein fünf Mark teures DIN-A-5-Heft, das von wahrlich abgründiger Bekloppt- und Verblasenheit kündet.
1995 hatten die Veranstalter beschlossen, die Wies'n „offiziell“ zu vermarkten, und zwar mit „Logo“, logisch. Und mit besagtem Pressestiefel. Weil Münchens Bürgermeister eigentlich ein Oktoberbürgerbiermeister ist, richtet auch Christian Ude sein Grußwort an die nervös von einem Raucherbein auf das andere tretenden Krampftrinker. 6,9 Millionen Besucher feiert er a priori, über 650.000 Brathendl, Myriaden von Steckerlfischen; 5,1 Millionen Maß; und 85 Ochsen. Und noch bricht niemand.
Der Ochse, lesen wir, „dreht durch“, während er an der „Dampf-Lokomobile“ hängt, vulgo am Spieß. Der Münchner aber liebt es ab ovo etwas extravaganter. Einfache Wörter sind ihm zuwider. Also nennt er alles schlichtweg und nicht zu toppend „Schmankerl“ – „Vergnügen“ klänge glatt zu medioker, zu wenig traditionsbehaftet und -beladen. Dampfen muß die Bierzelt-Chose, die Birne schwillt, das Geschrei findet kein Ende.
Es sind Wies'n und das dazugehörige Werbepapier schon ein ganz wunderbarer Mehrfachmist und -schwachsinn. Da gibt es „Spanferkel in Malzbier“, „im Käferzelt trifft man alles, was Rang und Namen hat, hier haben Gerd und Michael Käfer eine wirklich schöne Idylle im Landhausstil geschaffen“, ist schon so. Festwirtsfamilie „Schottenhamel“ zieht „Riesen-Truthahnkeulen aus dem Ofen“, und dieses Jahr erstmals läßt die Rundfahrgerätschaft resp. das „Hochfahrgeschäft“ den „Sombrero“, eine „familienfreundlichen Variation des Polypen“, über den Bierschädeln kreisen; besonderes Lob erhalten das „Galactron-Space-Center“ und die „Gaudi-Schützen“, eine elektronische Schießgewehrvorrichtung „mit einer sehr gelungenen bayerischen Aufmachung“.
On top of the Quark gibt OB Ude seinen süßen Senf dazu. Die Wies'n sei „trotz aller Neuerungen geblieben, was sie immer war“, und das freut den SPD-Tycoon, nämlich „Volks-Fest im besten Sinne des Wortes“. Nicht, daß man es mit einem „Sumpf bodenlosen Geschwätzes“ (Leo Kofler) zu tun habe; nein, Anstich-Ude schraubt die Phrase ins höchste Nichts und landet dort, wo sie samt und sonders landen: auf der Schnauze und der Schnapsleichennase, „verwurzelt und gewachsen in bodenständigem Brauchtum“. „Er ist halt ein Profi“, lobte Stoiber laut BamS (21.9.) den Arbeiterkämpfer.
255 Schausteller, 690 Betriebe, 66 Seiten Wies'n-Magazin: ein abscheuliches Universum. 1810 nahm der Irrwitz erstmals seinen Lauf, weil Kronprinz Ludwig die Prinzessin Therese von Sachsen- Hildburghausen heiratete. Man stellte Pferde und später „einen afrikanischen Volksstamm“ zur Schau, „der Zweite Weltkrieg zwingt die Wies'n zu einer Zwangspause“. Nun zwingen sich Hergereiste und einheimische Bollerdeppen zur Ungezwungenheit. „Spaß an jedem Tisch, in jeder Box“, verspricht Spatens „Hippodrom“, „man singt Nationalhymnen genauso wie aktuelle Schlager“, die „Musi“ brummt, wenn „der ,Funke‘ überspringt“, der Volkskörper bebt – und stürzt irgendwann endlich satt und prall darnieder.
Wie gesagt, wir wissen's nicht aus eigener Anschauung. Wir wissen bloß, daß „Gemütlichkeit“ und „Barbarei“ nirgendwo sonst ähnlich zäh und widerlich am Leben sich erhalten; wo selbst die Schweinshaxn zur trostlosen Tortur gerät, „die Schwarte“ nämlich, weiß man auf der Wies'n, „muß beim Hineinbeißen krachen!“
Heil und halleluja! Jürgen Roth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen