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■ LESERiNNENBRIEFEEine Zumutung für alle Nicht-Autofahrer

Es ist sehr schade, daß der Bahnhof Friedrichstraße ab Juli dieses Jahres nicht mehr mit der Straßenbahn zu erreichen sein soll. Begründet wird dies einzig und alleinmit den zweijährigen Sanierungsarbeiten an der Weidendammer Brücke. Die jedoch können der wahre Grund nicht sein, denn für den Kfz-Verkehr wird selbstverständlich eine Ersatzbrücke gebaut.

Wir befinden uns bekanntlich in einer Zeit, in der die Errichtung einer Behelfsbrücke für Straßenbahnen kein technisches Problem sein kann. An finanziellen Engpässen kann der Verzicht auf die umweltfreundliche Straßenbahn auch nicht liegen, denn immerhin leisteten es sich die verantwortlichen Berliner Politiker im Jahr 1991 genau 25 Millionen DM an Fördermitteln für den öffentlichen Nahverkehr nicht aus-, sondern dem Bund zurückzugeben. Der Grund der Stillegung ist also ein rein verkehrspolitischer, womit bewußt den Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel Unannehmlichkeiten aufgezwungen werden, während für Autofahrer keine Mühe gescheut wird, Ersatz zu schaffen.

Dieses steht zwar im Gegensatz zu dem inzwischen von allen Politikern verkündeten »Vorrang für den öffentlichen Nahverkehr in der Innenstadt«, paßt aber in die provinzielle Verkehrspolitik der jetzigen Berliner Landesregierung. Die Senatoren, Staatssekretäre und nicht zuletzt der Regierende Bürgermeister der großen Koalition ignorieren ausdauernd die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre und Erfahrungen anderer Großstädte. Mit Sicherheit benutzt die große Mehrheit der Mitglieder der Senatoren und der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Alltagsleben vorwiegend das Auto als Fortbewegungsmittel und nicht Bahnen, Busse oder ein Fahrrad. Das spiegelt sich dann Tag für Tag in den politischen Entscheidungen wider, und so werden die Menschen, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, schikaniert und in ihrer Mobilität eingeschränkt. Dieser kleinkarierte Egoismus der beiden großen Parteien CDU und SPD ist eine Zumutung für alle Nicht-Autofahrer, und das sind bekanntlich gar nicht wenige.

Und so darf sich dann auch niemand beschweren, wenn jemandem im Zusammenhang mit der Deutschen Hauptstadt nicht der Name »Berlin«, sondern »Posemuckel« einfällt. Wem das nicht gefällt, dem wird hiermit dringend empfohlen, sich schnell und effektiv um die Lösung der Probleme derer zu kümmern, die nicht jeden Tag im Stau, sondern an den Haltestellen stehen. Im übrigen fiele dann sicher auch vielen Autofahrern das Umsteigen auf umweltfreundliche Verkehrsmittel leichter. Sven Jagdhuhn, Berlin 19

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