piwik no script img

Eine Zeit, in der auch das Unkraut vergeht

■ Ein Gespräch über das Leben mit Convolvulus arvensis, der gemeinen Ackerwinde

Frage: Wie lebt es sich als Unkraut in dieser unserer Welt?

Antwort: Man schlägt sich durch. Wo man hinschaut, gibt es saubere, gepflegte Gärten. Leute werden beschäftigt, die dafür sorgen, daß die auserlesenen Pflanzen dort gut gedeihen und das Unkraut fernbleibt. Sie gießen, schneiden, jäten, rupfen und düngen. Und was wächst darin? Rosen, Dahlien, Rhododendron – Züchtungen, die mich langweilen, tote Pflanzen: totgezüchtet, totgepflegt, totgeliebt. Es wundert mich nicht, daß die gleichen Leute, die Nasen und Ohren abschneiden, Frauen vergewaltigen, auf Kinder schießen, solche Gärten lieben. Die Menschheit liebt die abgestorbenen Gärten.

Ich komme mir in einem solchen Garten wie in der Todeszone vor. Ich bin ein Ausländer darin. Sie sind ein Ort der Gehirnwäsche. Die Leute legen einen Garten für Rosen, eine Baumschule für Tannen, eine Plantage für Äpfel ... Beet für Beet sind die Lilien und Tulpen voneinander getrennt. Nur du bist in diesen Gärten nicht gefragt. Du bist das Un-Kraut.

Lieber Kraut und Rüben?

Das Leben findet woanders statt. Du stehst vor einem Stein und denkst, hier ist nichts. Bis du das Unkraut entdeckst. Nicht nur eine oder zwei Sorten, unter jedem Felsen ein anderes. Eine erstaunliche Vielfalt. Im Gegensatz zu der Eintönigkeit in den Gärten steht Unkraut für Mannigfaltigkeit. Ihr Menschen würdet dafür das Wort multikulturell benutzen, hättet ihr es nicht schon allzuoft im Munde geführt. Gärten sind des Todes, die scheinbare Ödnis dafür ist das Leben. Das möchte ich die Würde des Überlebens nennen. Das Unkraut erobert sich das scheinbare Nichts, verwandelt es in etwas. Es nistet sich in Nischen ein, die sonst niemand sieht. Von uns kann man viel lernen, vom Garten nichts. In Gärten bekommst du das gleiche, Exotische geboten. Unkraut geht von den Hauptwegen ab in die Wildnis, von der veranstalteten Wirklichkeit in die vergessene, übersehene. Unkraut ist ein Exilierter, ein Verdrängter, ein Ausgestoßener. Dafür aber hat es die Freiheit, sich nicht zu entscheiden. Eine Rose, die in der virtuellen Wirklichkeit der Todesgärten lebt, muß sich entscheiden, ob sie rot oder gelb ist. Das entscheiden sogar andere für sie. Im Gegensatz zu dem anarchistischen Rhizom, das die Gärten von unten aushöhlt, wächst Unkraut auf der Erde, schmuggelt sich da hinein. Wir führen vor, wie man mit wenig Nährstoffen, ein wenig Verdunstungswasser auskommt. Unkraut ist ein Lehrmeister. Es lehrt dich, wie du dich durchschlägst, indem du dich einschränkst.

Widerspruch! Unkraut ist einheimisch.

Stimmt nicht! Unkraut ist nicht autochton. Unsere Samen werden mit dem Wind und an Bienenfüßen von weitem hergebracht. Wir kennen keine Landesgrenzen, Zäune helfen nicht gegen uns. Ich habe es sogar als blinder Passagier im Handgepäck eines Reisenden über den großen Teich geschafft.

Man sagt, Unkraut vergeht nicht. Stimmt das?

Unkraut ist wie die Menschen – oder umgekehrt –, die unter Bombenhagel leben müssen. Beiden gemein ist der starke Überlebenswille – überleben aus Trotz. Nicht die zarte Rose in einem Villengarten beeindruckt mich, sondern eine sukkulente Pflanze auf Salzboden. Nichts gegen die Rose. A rose is a rose is a rose – und nichts mehr. Der Überlebenskampf macht uns schön. Man reflektiert über die eigene Existenz, die keineswegs selbstverständlich ist, eher zufällig. Ich fürchte aber, wir leben in einer Zeit, in der auch Unkraut vergeht. Es kann sein, wenn ihr so weitermacht, daß es bald weder Rosen noch Unkraut gibt. Wir sehen, wie Tag für Tag Unkraut stirbt, utopische Gärten vor den Augen aller umgepflügt, zerbombt, in Brand gesteckt und vergessen werden. Das Gespräch mit Claudio Lange führte Kemal Kurt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen