: Eine Verharmlosung
■ betr.: „Es werde Licht am Platz der Angst“, taz vom 3.11. 97
Mich wundert die oberflächliche Beiläufigkeit mit der Vorkommnisse am Beauner Platz in Bensheim wiedergegeben werden, die bei uns Entsetzen hervorgerufen haben. Der süffisant ironische Ton der Autorin ist unangebracht.
Zu dem Vorfall: Im Sommer diesen Jahres ist eine Ärztin, die auf dem Beauner Platz geparkt hatte, am hellichten Tag von zwei „Punkern“ brutal unter Beifallspenden der Szene zusammengeschlagen worden, nachdem sie es sich verbeten hatte, daß man, während sie im Einsteigen begriffen war, ihr Fahrzeug bepinkelte. Das geschah nicht etwa in einer Tiefgarage, sondern im Freien auf einem zentralen, öffentlichen und stark frequentierten Platz der Kleinstadt. Die Äußerungen des von der Autorin befragten Punkers, daß es sich um eine Provokation der Ärztin gehandelt habe, ist in Anbetracht der Lokalitäten eine abwegige Verkehrung von Tatsachen und eine Verharmlosung von öffentlich zelebrierter sexistischer Gewalt. Auf dem Platz ist eine öffentliche Toilette vorhanden, so daß keine Notwendigkeit besteht, öffentlich zu urinieren. Es gibt auch keine Rechtfertigung dafür, wenn massive Körperverletzungen an sich verbal wehrenden, beleidigten Personen zu Provokationen der Beleidigten umgedeutet werden. Hier werden Opfer zu Tätern gemacht.
Es dient dem Schutz der Menschenwürde, daß man gegen diejenigen vorgeht, die derartige Beleidigungen und Handgreiflichkeiten begehen und daß man sich und andere vor solchen Typen schützt, die ihre Individualität zu Lasten anderer gewaltsam ausleben. Wenn Hunde öffentliche Plätze zuscheißen, charakterisiert das die Frechheit der Hundebesitzer. Die versuchte ironische Beschreibung, daß „ein polizeigeschützt gassigeführter Dackel“ seinen Haufen treffsicher und gut ausgeleuchtet in die Platzmitte setzt, verrät die dreiste und unsachliche Verkehrung von Fakten und legt nahe, daß die Autorin dem Gesülze des Punkers aufgesessen ist, der die Körperverletzungen herunterspielt und die Angelegenheit zu einem Guerillakrieg unter Hundebesitzern stilisiert. Es geht nicht um die Verdrängung der Szene zugunsten der Besitzer der Köter, sondern um die Befriedung einer öffentlich genutzten Fläche, an der es kein Sondernutzungsrecht von irgend jemandem zulasten anderer geben darf. Es handelt sich bei der Ausleuchtung des Platzes um den Versuch der Gewährleistung eines Minimums von Öffentlichkeit. Dazu gehört mindestens, daß man einen zentralen Platz gefahrlos überqueren können muß. Nach dem Vorfall ist manifest geworden, daß offensichtlich die Sicherheit des öffentlichen Platzes von der Szene in Frage gestellt wurde – nicht von der Drogenszene, sondern von den Punkern. Der Kommentar des Punkers Mario: „Normal verprügeln wir keinen. Wir prügeln uns nur untereinander“ zeigt, daß die Szene diesen Platz als rechtsfreien Raum ansieht und unter den Punkern die nackte Gewalt herrscht. Die Ausübung von körperlicher Gewalt in Subkulturen ist keine kulturelle Eigenheit, der man mit falscher Toleranz begegnen sollte. Die Praxis zeigt vielmehr, daß die Szene nicht einmal in der Lage ist, interne Konflikte angemessen zu regulieren. [...] Andreas Koegler, Lorsch
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