: Eine Tote bei Anschlag in Tel Aviv
Der israelische Ministerpräsident Scharon gibt dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag indirekt die Schuld. Der Regierungschef und Oppositionsführer Peres nehmen offizielle Verhandlungen über die Bildung einer Koalition auf
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Zwei Tage nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag gegen den israelischen Sperrwall hat ein Anschlag in Tel Aviv Israels Premierminister Ariel Scharon makabre Rückendeckung geliefert. „Der Mordanschlag heute früh ist der erste, der sich unter der Schutzherrschaft des Internationalen Gerichtshofs ereignet“, kommentierte Scharon gestern vor dem Kabinett. Wenige Stunden zuvor starb eine junge Soldatin bei der Explosion einer unweit des Tel Aviver Busbahnhofs versteckten Bombe. Fünf weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Der militante Flügel der Palästinenserorganisation Fatah bekannte sich zu dem Anschlag. Die „Al-Aksa-Brigaden“, die „trotz Mauer jeden Ort erreichen“ könnten, so das Bekennerschreiben, waren auch für den letzten Mordanschlag vor rund vier Monaten im Hafen von Aschdod verantwortlich. Der letzte große Anschlag in Tel Aviv liegt indes schon über ein Jahr zurück.
Die israelische Armee berichtete von einem zahlenmäßigen Rückgang der Anschläge von insgesamt „über 90 Prozent“ seit August letzten Jahres. Die Zahl der Todesopfer sei nach der Errichtung des ersten Teilstücks vom nördlichen Salem bis zum östlich von Tel Aviv liegenden Elkana im Jahresdurchschnitt um 70 Prozent gefallen, die der Verletzten um 85 Prozent.
„Die Palästinenser zeigen den Richtern in Den Haag, was diese nicht sehen wollten“, sagte Scharon zu dem gestrigen Anschlag. Israel lehnt das Rechtsgutachten ab, das einen Abriss der bereits errichteten Anlagen und Kompensationen für die betroffenen Palästinenser fordert. Hier ginge es um eine „einseitige Meinung, die auf rein politische Erwägungen“ zurückzuführen sei, meinte Scharon. Die Richter „ignorieren die Gründe für den Bau des Sicherheitszauns – den mörderischen palästinensischen Terrorismus“. UN-Generalsekretär Kofi Annan appellierte an die israelische Regierung, das Rechtsgutachten zu respektieren.
Scharon kam am Morgen der Bitte des Justizministers nach, dessen Parteikollegen Jossef Paritzky aus dem Amt des Ministers für Infrastruktur zu entlassen. Telefonmitschnitte, die das staatliche Fernsehen letzte Woche veröffentlichte, entlarvten Paritzky bei dem Versuch, vor gut zwei Jahren seinem Parteifreund und Innenminister Abraham Poras eine fiktive Affäre anzuhängen. Die Aufforderung vonseiten der Schinui, sein Amt freiwillig niederzulegen, lehnte Paritzky ab.
Das freiwerdende Ministerium könnte nun in die Hände der Arbeitspartei übergehen, falls die gestern offiziell aufgenommenen Koalitionsverhandlungen zu einem Ergebnis führen. Scharon strebt nach der Entlassung zweier Minister aus dem rechts-nationalen Lager eine große Koalition an, vor allem um seinen einseitigen Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen voranzutreiben.
Politische Beobachter halten den Einfluss der Gegner eines solchen Bündnisses innerhalb der Arbeitspartei allerdings für vernachlässigbar. Als problematisch könnten sich einzig die von Finanzminister Benjamin Netanjahu vorangetriebenen drastischen Sparmaßnahmen im sozialen Bereich erweisen.
Innerhalb des Likud formierte sich hingegen bereits im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen deutlicher Widerstand. Federführend ist Minister Usi Landau, der Berichten zufolge bereits zehn Abgeordnete rekrutiert haben soll und vermutlich versuchen wird, einen Eintritt der Arbeitspartei in die Regierung vor den Zentralrat der Partei zu bringen. Die Likud-Funktionäre lehnen den Abzug aus dem Gaza-Streifen mehrheitlich ab.