: Eine These! Und?
■ Dürftige Podiumsdiskussion über Aids in der Kunst im Schauspielhaus
Wer immer auch das Thema des Abends Darf Aids Kunst sein? erstellte, nach dem Urheber dieses inhaltlichen Salto mortales wurde am Freitag in der Nachtkantine des Schauspielhauses nicht länger gefahndet. Die Teilnehmer des Podiumsgespräches einigten sich schnell auf den Hintergrund: Man habe wohl provozieren wollen.
Auch sonst wurde nicht tief geschürft. Unter der Moderation von Zazie de Paris waren sechs Herren eingeladen, über die künstlerische Verarbeitung von Aids öffentlich nachzudenken. Werner Schroeter, dessen Engel in Amerika-Inszenierung das Thema in Hamburg auf eine große Bühne brachte, nahm als erster Stellung. Er erklärte die Grundbegriffe der Thematik in einer etwas dürftigen Rechtfertigung seiner heftig kritisierten Inszenierung. Diese sei „ganz bewußt nicht auf Kunst getrimmt“ gewesen, da es sich bei dem Thema „Aids“ um einen „lebenswichtigen Vorgang“ handele. Und?
Doch damit war auch schon die einzige These zur Frage der Veranstaltung gefallen, der sich anschließend jeder anschloß und die Joachim Bartholomae vom Männerschwarm so auf den Punkt brachte: „Aids hat es verdient, Kunst zu sein. Es liegt darin die Möglichkeit, etwas Privates öffentlich zu behandeln“. Um den öffentlichen Umgang mit Aids ging es denn auch eigentlich. Deutsche seien sich viel zu schade, das Thema „Aids“ als Kunst zu behandeln, warf Schroeter ein und der Autor Christoph Klimke meinte, hier sei man nur wegen der sexuellen Aspekte an dem Thema interessiert.
Etwas differenzierter wurde der Filmregisseur Wieland Speck, der versuchte die Kopplung von Sexualität mit Tod und Krankheit neu zu beleuchten. Der eigene Tod - als die einzige Sensation nach der Geburt im Leben - werde für die HIV-Positiven durch den raschen körperlichen Verfall sience fiction-artig auf den Punkt gebracht. Wobei er als Filmemacher mit seiner Gebrauchskunst ganz konkret zur Sache kam. Sein Video mit einer Bedienungsanleitung für ein Kondom am lebenden Objekt war herzallerliebst und gehört in jede 8. Klasse.
Tilmann Hassenstein, als Vertreter der Aids-Hilfe auf dem Podium, machte schließlich gar nicht erst den Versuch auf die Gemeinplätze der vermeintlichen Kunst-Debatte einzusteigen, sondern verwies lediglich darauf, daß ihm jede kulturelle Aktivität recht sei, solange sie Geld für die Kranken einbringt. Und was blieb vom Abend übrig? Auch Zazie de Paris wußte es nicht so recht. „Auf jeden Fall ist es eine Kunst mit Aids zu leben“, half sie dem Thema charmant vom Kopf auf die Füße.
Elsa Rosenberger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen