Eine Stadt gegen Asylbewerber: Sieg der Vernünftigen
In der sächsischen Kleinstadt Gröditz macht die NPD gegen ein Heim für Asylbewerber mobil. Die Stadt will dagegen vorgehen. Und macht fleißig mit.
GRÖDITZ taz | Es ist schwerer hinaus- als hineinzukommen. Ein eisernes Tor, nur mit Motor zu bewegen, mit der Hand ist hier kein Beikommen. Die ältere Dame, die öffnet, ist nett, Mitte 60 vielleicht, lächelt herzlich. Sie erzählt vom Sohn, der in Mexiko lebt, und von der Schwiegertochter, die er dort kennengelernt hat.
Ihr spanischer Name steht am Klingelschild, die Familie mag sie sehr. Und ja, auch zu der Angelegenheit, deretwegen man eigentlich hier ist, hat die Frau eine Meinung. Ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft will man nicht. „Da hätte ich Angst. Das sind ja alles Schwarzafrikaner“, sagt die Frau, deren Name ungenannt bleiben soll. Man könnte gehen, wenn das schwere Tor nicht wäre. Die Dame eilt herbei, lächelt freundlich und öffnet. Sehr zuvorkommend.
In Gröditz, 7.000 Einwohner, in der Mitte Sachsens, lässt es sich gut leben. Einfamilienhaus reiht sich an Einfamilienhaus, kaum Verkehr auf den Straßen, gemächliches Gehen, man grüßt sich. Der Rasen vor dem Rathaus und das Ehrenmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten ist gepflegt, die Fassaden sind so sauber wie die vielen Mittelklasselimousinen – ein Idyll.
Asylbewerberheim in Containern
An dessen Rand plant der Landkreis ein Asylbewerberheim zu errichten, in einem Gewerbegebiet neben einer Kleingartenanlage. In Containern sollen rund 100 Nordafrikaner untergebracht werden. Die NPD protestiert dagegen, das ist wenig überraschend. Dass die Stadt Gröditz mitmacht, hingegen schon.
Am Donnerstag diskutiert der Kreistag Meißen über das geplante Heim für Asylbewerber, um abschließend einen neuen Standort zu beschließen. SPD, Linke und Grüne werden beantragen, die Entscheidung zu vertagen, um eine dezentrale Unterbringung zu prüfen. Die drei Parteien beklagen, dass die Stadt Gröditz „eine undifferenzierte Befragung der Bevölkerung gegen die Ansiedlung“ initiiert und so eine rassistische Grundstimmung befördert habe. Sie sind aber gegenüber CDU und NPD in der Minderheit.
Im 250.000-Einwohner-Kreis Meißen, er liegt zwischen Dresden und Riesa, leben derzeit 205 Asylbewerber, alle im Osten des Landkreises. Nachdem die sächsische Staatsregierung die Landkreise aufforderte, Plätze für neue Asylbewerber zu schaffen, entschied sich das Landratsamt deshalb für das westlicher gelegene Gröditz. Das Heim hier wäre dann wohl die größte Sammelunterkunft im Kreis. Heute entscheidet der Kreistag von Meißen, ob er dem Standort zustimmt.
Ziemlich schnell nach der Bekanntgabe der Pläne im Meißener Kreistag begann der Protest der NPD – sie druckte Flyer, warnte vor der „Nordafrikanersiedlung“, Diebstahl, Vergewaltigungen, Schmutz. Im benachbarten Riesa sitzt die Redaktion der NPD-Postille Deutsche Stimme, NPD-Bundeschef Holger Apfel und sein Landtagsfraktionskollege Jürgen Gansel wohnen in der Stadt.
Geld für rassistische Propaganda gibt die NPD im Kreis Meißen besonders gern aus. Sie initiierte eine Unterschriftenliste gegen die Containerunterkünfte. Wenig später taten es ihr die Stadtoberen gleich.
Einstimmigkeit gegen die Unterkunft
Am 20. Juni tagte der Gröditzer Verwaltungsausschuss, dabei auch der NPD-Mann Mirko Beier. In einer nicht öffentlichen Sitzung sprach sich der Ausschuss geschlossen gegen die Unterkunft aus – und entschied sich ebenfalls für eine Unterschriftenaktion. Bereits einen Tag später wurden Gröditzer aufgerufen, im Bürgerbüro auf Pro- für oder auf Contralisten gegen das Asylbewerberheim zu unterschreiben. Die NPD ist stolz darauf und unterstützt die Aktion nun.
Bürgermeister Jochen Reinicke ist wie die meisten Stadträte parteilos und wie viele Gröditzer ein sehr freundlicher Mensch. Zur seltsamen Allianz mit der NPD gefragt, erklärt er mit ruhiger, fester Stimme, dass es diese Allianz gar nicht gebe. Im Gegenteil, die Unterschriftenaktion der Gemeinde solle der NPD die Luft aus den Segeln nehmen.
„Wir haben nichts dagegen, dass bei uns Asylbewerber angesiedelt werden“, sagt Reinicke. „Es geht darum, dass wir uns gegen eine Containersiedlung wehren. Wenn die Asylbewerber ins Dorf integriert, verteilt in Wohnungen untergebracht werden, dann kann man darüber reden.“
Reinickes Einwände erscheinen gar nicht abwegig. Auch im nahen Leipzig wird – zumindest vordergründig – gerade lebhaft debattiert, ob Containerunterbringung noch als menschenwürdig gelten kann. Geht es in Gröditz vielleicht doch nicht um Rassismus? Sind Motive und Diskussion komplexer? Man mag dem Bürgermeister glauben – doch fragt man die Gröditzer, wird klar, dass es ihnen nicht um humanere Bedingungen für Asylbewerber geht, sondern darum, dass die Asylbewerber bleiben, wo sie sind.
11 auf der Proliste
Ortsbesuch im Bürgerbüro, im Rathaus mit dem schmucken Rasen, kunstvoll in einem großen Betonkasten arrangiert, umgeben von Kopfsteinpflaster. Die Dame am Empfang des Bürgerbüros wirkt etwas getrieben, sie hat dieser Tage mehr zu tun als sonst, pausenlos strömen Besucher herein, auf drei runden Tischen sind die Pro- und Contralisten verteilt. Zu den Prolisten greift niemand.
Wie viele bisher unterschrieben haben, weiß die Rathausmitarbeiterin nicht. „Am ersten Tag waren es an die tausend.“ Gestern, eine Woche später, hatten laut Rathaussprecherin Tina Noack an die 2.100 Gröditzer unterschrieben. Elf auf der Proliste.
Innerhalb einer Viertelstunde ist Gelegenheit, mit einem knappen Dutzend Gröditzern zu sprechen, sie alle bürgerlich wirkend, zugewandt, sie geben bereitwillig Auskunft. Sie sagen deutlich, worum es ihnen geht: „Es gibt genügend Ausländer in Deutschland.“ Man brauche nicht auch noch welche in Gröditz. Die Stadt habe schon genug Integrationsleistung geleistet, schließlich seien Anfang der 90er Jahre viele Wolgadeutsche gekommen. Sogar Asiaten.
Ein Mann in Jeans und Hemd hat keinen neuen Gedanken, den er umso vehementer vertritt. „Wenn ich als Deutscher irgendwohin gehe, werde ich auch nicht mit Geld und Unterkunft empfangen. Wer herkommt und Steuern zahlt, ist herzlich willkommen.“
Das geht ja gar nicht
Von der Idee des Bürgermeisters, statt der Containerunterkunft eine dezentrale Unterbringung zu organisieren, hat hier noch keiner was gehört. Es ist auch nirgends zu lesen, in keiner Pressemitteilung, keinem Vermerk. Eine Familie, auf die Idee angesprochen, ist entrüstet. „Das geht ja gar nicht“, sagt der Mann. „Da sind die ja dann überall.“ Fast entschließt er sich, gar nicht zu unterschreiben. Seine Frau kann ihn beruhigen, sie zeigt auf die Contraliste. „Hier steht es doch ganz deutlich: gegen ein Asylbewerberheim.“ Drei Unterschriften mehr.
Bürgermeister Reinicke ist zufrieden mit dem Verlauf der Aktion: „Wir haben es geschafft, aus der ganzen Sache den Druck rauszunehmen.“ Die Diskussion verlaufe jetzt sehr vernünftig, „und vor allem unterschreiben die Leute jetzt nicht mehr auf irgendwelchen NPD-Listen“. Die Rechtsextremisten hätten sowieso nicht durchschaut, „worum es hier geht“.
Konflikte mit ungefestigten Jugendlichen
Zum Beispiel um das Heim der Jugendhilfe Gröditz, in dem Kinder aus problematischen Verhältnissen untergebracht sind. Der dreistöckige graunbraune Klotz steht auf dem Nachbargrundstück des geplanten Asylbewerberheims. Reinicke und der Gemeinderat hätten Angst, dass es zu Konflikten zwischen ungefestigten Jugendlichen und Asylbewerbern kommen könnte, auch zu Gewalt.
Sie, die ungefestigten Jugendlichen, „sind ja nicht so vernünftig wie wir. Wenn ich die frage, wer schuld ist, dann kriege ich eine klare Antwort: die Ausländer“. Es sei schlicht unverantwortlich, in so einer Umgebung Asylbewerber anzusiedeln. Und noch mal: „Für alle anderen Lösungen sind wir sehr offen.“ Von der NPD ließe man sich jedenfalls nicht treiben.
Der Landkreis hat inzwischen angekündigt, man kennt diese Formulierung, die Sorgen der Gröditzer ernst zu nehmen. „Um den Konflikt in der Stadt zu entschärfen“, so Sprecherin Kerstin Thöns, werde der Landkreis gemeinsam mit dem ehemaligen sächsischen Ausländerbeauftragten Heiner Sandig, einem Pfarrer, Bürgersprechstunden veranstalten, die erste fand gestern statt. Zudem soll ein privater Wachschutz eingesetzt und mit der Polizei ein „Sicherheitskonzept“ erstellt werden.
„Damit planen wir weit mehr Begleitung in Gröditz als in den anderen Unterkünften“, erklärte dazu der zuständige Landratsdezernent Urich Zimmermann (CDU). Die Dame hinter dem Eisentor beruhigt das nicht. Wenn doch Asylbewerber kommen, werde sie eben „abends nicht mehr auf die Straße gehen“.
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