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Eine Schule des Sehens

488 Filme aus über 40 Ländern, sortiert in zahlreichen Sonderprogrammen: Das 18. Internationale Kurzfilmfestival präsentiert sich vom 8. bis 15. Juni als schöne und angenehme Zumutung für Auge und Wochenplanung

von TIM GALLWITZ

Alles hat seine Zeit. Das Kurzfilmfestival hat sich trotzig wie beharrlich in den längsten Tagen des Jahres eingerichtet und lockt, ungeachtet der Grillsaison und unbeeindruckt von internationaler Balltreterei, seine Zuschauer in den dunklen Bauch des Kinos. Dort präsentieren sich vom 8. bis 15. Juni das mühsam aus über 3000 Einreichungen destillierte Extrakt in den Wettbewerben und die sorgsam zusammengestellten Sonderprogramme. Rekorde sind aufgestellt: 488 Filme aus über 40 Ländern. Das 18. Internationale Kurzfilmfestival ist größer denn je. Das macht die Auswahl fürs interessierte Publikum nicht eben leichter.

Das Kurzfilmfestival ließe sich mit einigem Recht wohl auch als eine Schule des Sehens betrachten. Denn der an TV und Langfilmen abgerichtete Blick wird da gern überboten oder unterlaufen. Die Vielseitigkeit des belichteten Materials gewährt dem Auge visuelles Lustwandeln über ein wild-buntes Mosaik von Genres und Formaten. Und gegenüber diesem kontrolliertem Chaos positionieren sich die Schauenden am angemessensten wohl mit relaxter Neugier.

Die Wettbewerbe, die Pflichtfächer auf dem Stundenplan, sind geeignet, den „state of the short“ in Augenschein zu nehmen. „Internationaler Wettbewerb“ und „No Budget“ sortieren sich dabei entlang der Faktoren Produktionskosten und Professionalität. Ansonsten: Anything goes. Der gemeinsame Nenner der Programme „Made in Hamburg“ und „Made in Germany“ liegt auf der Hand. Im „Flotten Dreier“ darf sich austoben, wer vom Thema „Durst“ berufen unter drei Minuten blieb. Es sei versichert, dass dort nicht nur Alkohol und Wüste flottiert.

Allen neuökonomischen Nackenschlägen zum Trotz beweist das „bitfilmfestival“ Stehvermögen und zudem, dass der Rechner nicht allein Dienstmagd der Effektschmieden Hollywoods ist. So nimmt die digitale Generation auch im Bereich der Heimproduktion lässig Platz neben den Hirschen Super 8 und Video. Die Sonderprogramme, oder sagen wir Wahlfächer, schillern zwischen Geografie, Musik, Geschichte und Grundlagenforschung.

Letzterem stellt sich das Programm „Film ist“. Gustav Deutsch, Mitglied von Sixpack, der österreichischen Kurz- und Experimentalfilmschmiede, versucht sich an einer Art Grammatik des bewegten Bildes. Das kommt weniger als geschlossene Theorie oder Analyse daher, sondern als Experiment mit Mustern der Wahrnehmung und mit Wirkungsweisen von Film. Deutsch montiert die von ihm aufgespürten Fragmente aus der Frühzeit des Kintopps, Schnipsel des Spektakelkinos wie des wissenschaftlichen Films zu zwölf Lektionen. Film ist da dann „Bewegung und Zeit“, „Licht und Dunkelheit“, ist „Komisch“ oder „Gefühl und Leidenschaft“.

Geschichte wird gemacht in der „Stacheltierparade“. Mit dem Logo eines Stacheltiers waren die kurzen Satiren versehen, die von 1953 bis 1964 in der DDR produziert wurden. Namen wie Frank Beyer, Manfred Krug oder Angelica Domröse bürgen für filmische Qualität. Von der Kultur-Nomenklatura als kurzfilmisches Mittel gegen Klassenfeind und für sozialistische Gesinnung geplant, stachen und stießen sich die Kader doch gern selbst dran, und so ward so manches Stacheltier von der Zensur weggesperrt.

In der Sektion „L‘Age D‘or/Ladomat“ unterrichtet das Label, wie Musik sich ihre Bilder sucht. Das Set ist aus Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre kompiliert und führt HUAH!, Die Sterne, Superpunk, Tocotronic und viele andere endlich mal auf großer Leinwand vor.

Den umgekehrten Weg beschritt Pyongyang Robogirl (No Budget 5). Die mit versteckter Kamera gedrehten Aufnahmen einer ebenso zackig wie bezaubernden nordkoreanischen Verkehrspolizistin sind mit minimal-elektronischem Sound nachvertont. Ein echter Kracher, um den sich VJs noch reißen werden.

Der Topographie des Egos widmet sich das Programm „Me, Myself & Eye – Selbstportraits“. Ein Seminar für Voyeure, die den Kollegen Narzissmus, Exhibitionismus und Selbsttherapie schon immer mal beim Selbstdarstellen zuschauen wollten. Film ist: Zuschauen. Kurzfilmfestival ist: Viel zu schauen.

Eröffnung: Samstag, 17.30 Uhr, Metropolis (Festivalkinos: Zeise, Metropolis, Lichtmeß)

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