■ Die neue Masche: Eine Repassiererin
Sie bringt sie retour, die entlaufenen Maschen. Und dann ist es passiert: Die Hose ist wieder ganz, so gut wie neu, man sieht kaum noch was. Die Rede ist von Karin Marquard und von der Strumpfhose. Von der Strumpfhose im allgemeinen, die also auch die Ihre sein könnte. Karin Marquard ist Repassiererin, Strümpferetterin. Sie nimmt Laufmaschen auf. Strümpfe werden heute kaum noch gerettet. Ein paar kaputte Auserwählte dürfen noch unter Motorhauben weiterdienen, der Rest kommt in Kissen oder Tonnen. Das Repassieren findet man dagegen nur noch auf meist kleinen, dezenten Schildchen auf der Eingangstür zu Wäscheläden: „Laufmaschenservice“. Im Laden ist dann zu erfahren, daß es sich hier keineswegs um eine neue Lochreißmethode für Strukturstrümpfe handelt. Vielmehr um eine Dienstleistung, ja einen kleinen Kundinnenfänger in harten Kaufhauszeiten. Die Damen dürfen alles Löchrige bringen. Das wird getütet, angesammelt und geht im Falle von Firma Breitrück an Firma Post und weiter zu Karin Marquard nach Hause. Karin Marquard besitzt eine Repassiermaschine. Genauer gesagt: deren drei – zwei davon stehen im Keller –, denn es gibt sie eigentlich gar nicht mehr. Das war in den Fünzigern anders, da boomte der Wiederaufnahmemarkt. Damals lernte auch Karin Marquard das Repassieren bei The Electro Juwel Mending Machines. Heute benutzt sie eine Maschine Marke Kolibri, beige- rot in klassisch-bauchiger Bügeleisenform. An dieser hängt die Nadel. Und Karin Marquard führt sie wie einen Lötkolben zur verlorenen Masche und diese mittels Kompressor wieder auf ihren Weg und zum Loch zurück. „Der Steg, der dann noch bleibt, geht weg. Da sieht man nach dem Waschen nichts mehr.“
Das geht schon Jahrzehnte so immer gleich, nur die Inflationsrate hat Karin Marquards Maschenpreis auf inzwischen fünfzehn bis zwanzig Pfennige gebracht. Die Kundin zahlt ein Drittel auf. Wenn dann mal mehr als zwei bis drei Maschen in einem Strumpf verlorengegangen sind und den Strümpfen auch noch anzusehen ist, wie billig sie waren, dann gibt Karin Marquard die schon mal zurück. Denn dann lohnt sich das nicht, für die Kundin.
Heute aber kommen in den Tüten von den Läden viel schwarze, dunkle Strümpfe, Wolle und mehr mit Straß zu ihr ins Haus, die gemusterten, schwierigen sind gar nicht mehr so in. Gefallene in Leggins sind übrigens auch repassierbar. Karin Marquard warnt jedoch gerade bei der teuren Ware vor Selbstversuchen mit Eierbecher und Kaffeetasse und nimmt dafür lieber noch ein bißchen mehr auf. Ihre Maschinen-, Nadel- und Garnvorräte sind voll, denn im Lauf der Wegwerfzeit haben ja alle irgendwie die Produktion eingestellt, obwohl sie vielleicht noch nicht mal pleite gegangen wären. Obwohl es da eine Nadelfirma im Erzgebirge geben soll. Jedenfalls kommt sich Karin Marquard mit den anderen beiden Berliner Kolleginnen nicht in die Quere. Nur nach dem Mauerfall hat doch glatt die Ostberliner Repassiererin behauptet, in Westberlin kenne man so was nicht. Das ist aber auch schon wieder Jahre her. Silvia Plahl
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