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Eine Reise nach Rostock im Februar 1990

■ Zwischen ramponiertem Wir-Bewußtsein und verschluckter Wut: Orientierung am westdeutschen Medien- und Parteienmarkt

Das letzte Mal, Mitte Januar, waren wir vier Ost, eine West, eine Ost-West im Abteil. Die Kleine mit 340 Mark Rente hatte gesagt, wie gut das ist, das man vor der Grenze nicht mehr die Luft anhalten muß, der Lehrer aus Neustrelitz hatte immer wieder gegen die ersten Streiks im Lande nach einer starken Hand gerufen. Die PDS habe als einzige Partei ein Programm. Seine Frau hatte immer energischer gesagt, er solle den Mund halten. Die Orthopädin aus Stralsund hatte sanft darauf bestanden, daß nichts vertuscht und alles untersucht werden sollte. Als der Zug in Rostock hielt, hatte der Lehrer mir einknotete, ich solle in die Zeitung schreiben: Wir waren ein gesamtdeutsch-gemischtes Abteil, haben uns die ganze Zeit politisch unterhalten, und sie hätten noch Hoffnung für die DDR.

Einen Monat später: Die beiden Frauen aus Rostock vergraben sich ab Bremen Hauptbahnhof in die Welt der Frau, das Neue und das Goldene Blatt, das Rostocker Mädchen in Walkman und Bravo. Der nervige kleinen

Dicke aus Bremen, ausgeschlossen aus der Welt der Frau, plappert ins Leere. Ab Hamburg gehört das Abteil DDR -Deutschen. Die, mangelwirtschaftlich geschult, hatten „bis Endbahnhof“ reserviert und das im ganzen Zug.

Die FDJ oder: Der verlorene Stolz

Ausquartiert auf den Flur, gerate ich mit dem „Facharbeiter für Tierproduktion, Spezialgebiet Schwein“ ins Gespräch. Als ein solcher gibt sich Silke, die Bravo-Leserin aus dem Abteil, zu erkennen. Sie ist um die Jahreswende aus der FDJ ausgetreten, deren „Sekretär“ sie in der Schule war. U. a. hatte sie geärgert, daß der Lehrer sie in die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft pressen wollte. Argument: Wer nicht eintritt, ist der sowjetischen Freunde Feind.

Silke, der Facharbeiter, hatte in Syke „richtige Kapitalisten“ besucht, die sie auf dem Rostocker Bremen-Fest kennengelernt hatte. Sie hatte gelernt, daß die Westdeutschen selbstbewußter sind als die DDR-Deutschen und

verteidigt den Sozialismus gegen Syke. „200 Jahre hat der Kapitalismus Zeit zur Entwicklung gehabt, und dem Sozialismus billigt man nicht mal 40 zu.“ Zu viel Gutes sei mit der Wende über Bord gegangen. Z.B. die FDJ, die ganz umfassend alles organisiert hätte, „da kann man nicht meckern“. Dort hätte sie gelernt, wo ihre Stärken liegen, daß sie sich durchsetzen kann. Gut, beim ersten Mai hätten sie zwei Stunden demonstrieren müssen, aber mitgebrüllt hätte sie nie dabei. „Kampfreserve der Partei“, darüber sie hätten sie doch „rumgegagt“. Ihnen, den Jungen, sei doch wirklich alles geschenkt worden. Wenn Volksabstimmung wäre, würde sie gegen die Wiedervereinigung stimmen. Im Internat stünden in einer Ecke die einen, die dafür seien, die andern seien dagegen. Wie man miteinander umgehen solle, wenn man nicht mehr einheitlich gegen etwas sei, wüßten sie nicht.

In Rostock zum Frühstück bei Anton und Christa Sommer. Schinken, Käse und frischer Kuchen. „Den hat unser Vater ge

backen“, Anton, patent, mecklenburgsch-bedächtig, wenn er was sagt grad heraus, Hausmeister an einer kirchlichen Institution. Alles wird schlimmer, sagt Christa, nur gut, daß sie nur ein Kind haben, besser wäre kein Kind. Kinderschuhe kosten jetzt 100 Mark und keine Qualität.

Es stellt sich raus: Anton hätte eine Stelle im Rheinland gehabt und für Christa eine zum Vorstellen. Das war Silvester. Aber auf einmal wollte sie nur noch nach Hause. „Hätte ich meine Eltern hier nicht, wäre ich gegangen.“ Er grinst: „Sie lügt, es ist wegen der schönen Wohnung“, deswegen könne er auch nicht weg aus Rostock. Christa: „Das ist meine Heimat hier. Ich kenne hier jeden Stein, ich gehöre einfach hierher.“

Anton erbost sich über den Vorschlag, Westdeutschland solle 700 Marshall-Ersatzmilliarden zahlen: Dann hört das ja nie auf, immer die Hand aufhalten.

Dicker Max und dicke Wut

Christa erbost ihr Schwager. Der war Major der Volksarmee, Ver

walter deren Ferienhäuser, sich einen Bungalow gebaut. Und wir haben geschuftet und getan, und die haben alles, und die Weihnachtsteller sahen immer so westlich aus, obwohl die gar keine Westkontakte hatten, und nach der Wende ist er in den Westen. Und macht schon wieder den dicken Max mit 1.800 Mark Arbeitslosengeld.

Sie erzählt von Familientreffen, über Politik haben wir nie geredet, wo ihr Mann gesagt hat, daß sie im zu Besuch im Westen warenund unterm Tisch, da ging das Treten los, weil das müssen sie melden. Und ich hab immer nur die grüne Minna gesehen und gedacht, am nächsten Tag, da kommen sie und ziehen die Pässe ein und hab die ganze Nacht nicht geschlafen. Wenn ich den treffe...Dem möchte ich nochmal einen Strick über den Weg legen. Ernsthaft, ich möchte dem noch einmal die Hand geben und ein paar Worte dazu sagen.

Umworben

Rostock wärmt herbstmilde Frühjahrsonne. Die Braunkohle in der Luft schmeckt würzig. Auf

dem Thälmannplatz beschallt die Bauernpartei mit Ännchen von Tharau und verteilt Flugblätter für ökologischen Landbau. Alle werben. Die Umworbenen gehen überall hin und sammeln sorgfältig Wahlreklame ein. Von der DSU, die Freiheit statt Sozialismus aus Pinneberg anliefert, von der CDU, bei der Herr Neumann und Herr Kudella bildlings gegen die „Wendepartei der BRD“ antreten, die SPD. Spartacus in schwarzem Leder fordert per Mikrophon zu Betriebsbesetzungen und Rätebildung gegen den West-Imperialismus auf. Plötzlich rennt auf den ein junger Mann los, wie ein Stier. Seine Frau packt ihn noch rechtzeitig am Schlawittchen und schleift ihn weiter.

Von langen Tischen nehmen die Mecklenburger die Zeitschriften den Westens bedächtig in die Hände. Ab 1. April kann man sie abonnieren, Kurs 3 : 1. Am meisten, sagt der Rentner hinter dem Tisch am Kröpeliner Tor, wird „Sandra“ abonniert, (was wahrscheinlich Petra, Burda oder Tina ist), dann kommt der Plaboy.

Uta Stolle

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