Eine Reise durch Kirgisistan: Davonreiten ist nicht
Das Nationalgetränk ist aus vergorener Stutenmilch, eine Jurte erzählt vom Zweiten Weltkriegs, das Land vertrocknet derweil: Über Kirgisistan.
Ach, ich hätte ja Fotos gemacht. Als Beleg, wenn ich mich später im Freundeskreis überdreht, aber auch liebevoll über die ulkige Andersartigkeit eines anderen Landes lustig gemacht hätte. Aber ich musste die Kamera abgeben, als ich das Nationalmuseum von Bischkek betrat, denn das ist nun einmal zum Lernen da und nicht zum Lustigmachen.
Also lerne ich von einer riesigen Landkartentapete, dass die alten Kirgisen gefühlt ganz Asien beritten haben und dass der Lederharnisch mit den Ketten und Riemen in der Vitrine vor mir zweitausend Jahre alt sein soll, obwohl er so aussieht wie frisch aus dem Fetischladen. Jenseits des Schlachtfelds trugen die Frauen damals Fuchs, lerne ich weiter, die Männer Schneeleopard.
Und wegen dieses Schneeleoparden bin ich überhaupt erst in diesem fremden Land gelandet, denn – Achtung: Transparenzhinweis! – der Naturschutzbund hatte mich im Juni auf eine Pressereise eingeladen. Der Nabu hat in Kirgisistan nämlich eine eigene Abteilung, die das edle Tier vor dem Aussterben bewahren will, indem sie oben in den Bergen Jagd auf Wilderer macht.
Doch weil es nur noch etwa 300 kirgisische Schneeleoparden gibt und mich darum eher der Blitz trifft als ich einen wahrhaft wilden Schneeleoparden, versuche ich mir stattdessen ein Bild zusammenzureimen, wie dieses Land so tickt, von dem ich nicht sicher bin, mit wie vielen I oder Y ich es jenseits kyrillischer Buchstaben denn schreiben soll.
Bischkek ist die Hauptstadt und der politisch-wirtschaftlich-kulturelle Mittelpunkt Kirgisistans. Die Stadt liegt ganz im Norden des Landes am Fuße von schneebedeckten, beinahe 5.000 Meter hohen Bergen, in denen die meisten der wenigen verbleibenden Schneeleoparden leben.
Die Hauptstadt wird vom Tschüi Prospekti halbiert, einer Hauptverkehrsachse, die auch schon nach Stalin und Lenin benannt war. Aber das hier ist nicht Russland, jedenfalls nicht zurzeit, man weiß ja nie. Die aktuelle russische Grenze ist 1.500 Kilometer kasachische Steppe entfernt.
Doch da die Russen Bischkek vor 150 Jahren auf einer einstigen Karawanenstation der Großen Seidenstraße gründeten, die Kirgisische SSR bis zu ihrem Zerfall Teil der Sowjetunion war und Russisch bis heute als zweite offizielle Sprache gilt, kann man die Gegenwart Moskaus deutlich spüren, auch wenn die Mehrheit der Kirgisen nicht wirklich Bock auf diese Gegenwart hat, schon gar nicht in Zeiten wie diesen.
Auf dem Tschüi Prospekti
So ragt neben den übertrieben breiten Straßen Sowjetbombast in den wolkenlosen Himmel: das Nationalmuseum, das Haus der Gewerkschaften, die Philharmonie, das Weiße Haus des Präsidenten; alles brutale, klassizistische Architektur hinter palastartigen Fassaden.
Das Mahnmal des Großen Vaterländischen Krieges auf dem Bischkeker Siegesplatz deutet eine Jurte an, die von nur drei Stelen gehalten wird. Die Jurte erinnert an die unzähligen kirgisischen Soldaten, die von den Sowjets im Zweiten Weltkrieg an der Front verheizt wurden. Denn wenn eine Nomadenfamilie den Tod eines Verwandten betrauert, entfernt sie eine der vielen tragenden Stelen ihrer Jurte.
Unter der stählernen Kuppel des Mahnmals wärmen sich frühmorgens ein paar Kids an der ewigen Flamme auf und wissen nicht, wohin mit sich, bevor die Sonne wieder den Asphalt zum Kochen bringt. Auch auf den sechs bis acht Spuren des Tschüi Prospekti ist fast keiner unterwegs, im Stadtkern trotzt nur die Ehrenwache unter einer gigantischen Nationalflagge der brütenden Hitze. Und ein Polizist, der mich rauchend darauf hinweist, dass hier nicht geraucht wird.
Das kleine Kirgisistan wird vom Westen gern als tapfere Demokratie inmitten der wilden Autokraten Zentralasiens gefeiert. Doch eingeklemmt zwischen China und einer Handvoll weiterer Länder mit „-stan“ hinten dran scheint das mit der Demokratie gar nicht so einfach zu sein für die noch so junge Nation, wie mir ein paar Nabu-Mitarbeiter mit guten Englischkenntnissen bei ein oder zwei Wodka erklären.
Die Freiheit scheint für Chaos zu sorgen, und immer, wenn gewählt wird, zündet irgendjemand das Parlamentsgebäude an. Zuletzt stand es vor zwei Jahren in Flammen, erzählen sie. Der alte Präsident wurde fortgejagt und ein anderer eingesetzt, den dessen Anhänger am Vortag aus dem Hochsicherheitsgefängnis befreit hatten.
Immer das gleiche Spiel
2005, 2010 ähnliche Bilder: Wahlen lösen landesweite Proteste aus, ein Mob stürmt das Weiße Haus und stürzt das Oberhaupt. Dem neuen kirgisischen Präsidenten bleibt dann nicht viel Zeit, seine Brüder, Söhne, Cousins und Neffen in hohe Ämter zu heben und gemeinsam den Staat auszunehmen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Prompt rollt wieder eine Revolution los, die nach irgendeiner friedfertigen Blume benannt wird. Irgendjemand verspricht das Ende von Korruption und organisierter Kriminalität, und das Spiel geht von vorn los.
Die Kirgisen scheinen sich gern über sich selbst lustig zu machen. Kichernd schenken mir die Jungs die nächsten ein oder zwei Wodka ein und werden nicht müde, jedes vom Tisch gepickte Häppchen sofort nachzulegen. „Dänn-zo-luk-ü-tschin“ oder so ähnlich heißt es dann, auf die Gesundheit, und zwar unentwegt, runter damit, egal zu welcher Tageszeit.
Am Tisch werde ich mit Gruselgeschichten über vermeintliche kulinarische Traditionen aufgezogen, in dessen Showdown ich als Gast bald einen gekochten Hammelschädel spalten dürfe, um dann Augen, Zunge, Hirn und den ganzen Krimskrams darin auf mich und die fröhliche Runde zu verteilen. Tatsächlich wird mir dann aber doch kein Schädel gereicht, sondern eine Schüssel Kymyz, das Nationalgetränk, ein höllisch miefendes Gebräu aus vergorener Stutenmilch.
Am nächsten Tag fahren wir in den Süden an die usbekische Grenze, wo es ländlicher und ärmer wird. Ziel ist Osch, die zweitgrößte Stadt Kirgisistans, jahrtausendealter Handelsknoten und heute großer Drogenumschlagpunkt von Zentralasien.
Dreizehn Stunden geht die wilde Busfahrt durch unbeleuchtete Tunnel, am Straßenrand stehen bunte Moscheen herum, die allesamt ein bisschen wie Hüpfburgen aussehen, und aus dem Radio quäkt ein Smashhit, der von den Fahrgästen im Bus mitgegrölt wird. Rasul Mamatkulow besingt darin ebenfalls seine Reise von Bischkek nach Osch, aber in einem Mercedes. Solange der Motor zuverlässig schnurrt, heißt es in dem Lied, sei nichts weiter von Bedeutung, weder die Liebe, noch die ertragreiche Ernte. Muss er selbst wissen.
Kirgisen sollen Wasser sparen
In den Bergen südöstlich von Osch hat der Nabu gerade eine zweite Einheit von Antiwilderern engagiert, die Jagd auf Schneeleopardenjagende machen. Die Zypressen- und Walnusswäldchen grünen bei meinem Besuch im Sommer um die Wette, ein kristallklarer Bergfluss rauscht ins Tal hinab. Hier und da wähne ich mich glatt in der Schweiz oder in Slowenien, wären da nicht die Geier und Yaks, Jurten und Wacholderhaine. Und die Hitzetage, an denen die Gegend immer öfter bei 40 Grad fiebert.
Natürlich ist auch in Kirgisistan der Klimawandel längst angekommen. Der gigantische Bergsee Yssykköl, größer als zwei Saarlands, schrumpft. Die Seen Komsomolskoye und Pionerskoye im Norden Bischkeks sind seit diesem Jahr trockengelegt. Der darunterliegende Kanal trägt mehr Schlamm als Wasser. Und in den Bergen verliert der Schneeleopard seinen Lebensraum in den schmelzenden Gletschern und wird so nicht zu retten sein, Wilderer hin oder her.
Die Einwohner in den Städten sollen darum nur noch nachts duschen und nachts die Wäsche waschen, erzählt die Frau des kirgisischen Nabu-Chefs. Tagsüber tröpfele nur ein Rinnsal aus den Leitungen. Die Kirgisen sollen Wasser sparen, damit die Felder nicht vertrocknen. Wer kann, flieht in den heißen Tagen aus den Städten ein paar Hundert Meter bergauf, wo es merklich kühler ist.
Dort haben viele Familien ihre Jurten aufgebaut, wo sie Essen zubereiten und beisammensitzen, ganz wie in den guten alten Nomadenzeiten – nur sie und die Nachhaltigkeitstouristen, die das originale Nomadenleben gebucht haben.
In Kirgisistan sitzen schon die Kleinkinder auf Pferden. Jeder kann reiten, nur ich nicht, und so hat das Pferd, auf dem ich sitze, nicht wirklich Interesse daran, mich einen Hügel hinaufzutragen. Ein älterer Herr aus der Nachbarjurte hat Mitleid und nimmt mich in Schlepp. Planlos, was ich mit den Zügeln in den Händen soll, krame ich das Telefon hervor, um mich umständlich via Google Translate zu unterhalten.
Die Touristen werden das Land nicht aus der Krise kaufen können, spricht mir der Mann auf Russisch ins Mikrofon und sagt seinem Pferd ein paar Takte auf Kirgisisch, die der Übersetzer und ich nicht verstehen. Es gebe nur ein bisschen Gold und Öl zu exportieren. Dazu etwas Fleisch, Walnüsse und die berühmten Filzhüte. Ausländische Investoren könnten hier deshalb nach Belieben Schnäppchen machen. China baut Raffinerien ins Tienschangebirge, Gazprom hat das hiesige Gasnetz übernommen.
Wenn es früher, zu Nomadenzeiten, mal Ärger gegeben hat, erklärt mir der Mann zuletzt, seien seine Vorfahren einfach auf ihre Pferde gesprungen und davongeritten. Wohin er aber jetzt noch reiten soll, weiß er auch nicht so genau.
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