: Eine Partnerschaft von unten
■ taz-Serie „Hamburg und seine Städtepartnerschaften, Teil III: León - „Alle, die einmal drüben waren, fühlen sich als Internationalisten“ Von Torsten Schubert
„León ist Hamburgs einzige Städtepartnerschaft von unten“, sagt der ehemalige Honorarkonsul für Nicaragua, Jürgen Gotthardt. „Über 30 Organisationen von Kirchen, Gewerkschaften und Vereinen beteiligen sich aktiv daran.“ Durch deren frühzeitiges Engagement für die nicaraguanische Großstadt unterzeichnete Hamburgs Bürgermeister entgegen der offiziellen deutschen und amerikanischen Nicaraguapolitik am 10. Mai 1989 im Beisein des damaligen nicaraguanischen Staatspräsidenten Daniel Ortega im Hamburger Rathaus die Partnerschaftserklärung.
Nicaragua war nach der sandinistischen Revolution Mitte 1979 ein Symbol für die linken Bewegungen in Europa geworden. Die USA stoppten ihre Hilfen und verhängten ein Handelsembargo. In Europa wurde die Bananenkampagne gestartet, die sogenannten Nica-Läden gegründet. Junge Menschen aus aller Welt fuhren als brigadistas in das mittelamerikanische Land und halfen in der Landwirtschaft.
Trotz gelegentlicher Widerstände funktioniert die Hilfe für León bis heute. Der Verein „Helft Nicaraguas Kindern“ unterstützt die medizinische Versorgung; es gibt inzwischen 30 Schulpartnerschaften; insgesamt fünf Kirchengemeinden helfen bei der Stadtteil-elektrifizierung in León. „Ausgehend von dem materiellen und gesellschaftlichen Ungleichgewicht, das naturgemäß zwischen einer westeuropäischen Millionenstadt und einer Stadt eines Dritte-Welt-Landes besteht, handelt es sich bei dieser Verbindung um eine 'Entwicklungspartnerschaft'“, heißt es in einer Dokumentation der Stadt Hamburg.
Nach Einschätzung von Jürgen Gotthardt ist die Partnerschaft mit León aber mehr. „Wenn der Senat seine Unterstützung aufkündigen würde, bliebe die Partnerschaft trotzdem aktiv.“ So sammeln Schüler jedes Jahr bis zu zwei Container voller Bleistifte und Schulhefte. Die Briefkontakte funktionieren, und noch in diesem Jahr kommen zehn Jugendliche aus León in die Hansestadt. Jugendliche aus Hamburg haben beim Aufbau des Leóner Jugendhauses geholfen. „Das sind Erlebnisse, die keiner so schnell vergißt.“ Und deshalb ist die Partnerschaft für Jürgen Gotthardt keine Einbahnstraße.
So empfindet es auch Rentner Peter Wack aus Schnelsen. „Alle, die einmal drüben waren, fühlen sich als Internationalisten.“ Der gelernte Maschinenschlosser kam schon vor der offiziellen Städtpartnerschaft nach León, half, einen lederverarbeitenden Betrieb aufzubauen. „Macasa wurde während der Revolution zerstört und die Arbeiter haben dann sehr klein wieder angefangen.“
Inzwischen gehören den Arbeitern 74 Prozent der Anteile an der Fabrik. „Hamburg ist sehr großzügig bei der Lieferung von Leder eingesprungen.“ Hergestellt werden heute unter anderem Taschen, Portemonnaies und Schlüsselanhänger. Und Peter Wack hilft weiterhin gemeinsam mit Ehefrau Hildegard. „Einem landwirtschaftlichen Kollektiv haben wir einen Traktor geschickt, der hier repariert wurde – Anfang April gingen zwei Notstromaggregate per Schiff an ein Krankenhaus.“
Hilfe ist auch immer noch dringend nötig. Bei einem Besuch in Hamburg Anfang April beschrieb der Bürgermeister Leóns, Luis Felipe Perez Caldera, die Situation: „Unser Land befindet sich in einer sozial und wirtschaftlich schwierigen Lage.“ León lebe hauptsächlich von Baumwolle. Über 35 Prozent des Bruttosozialproduktes würden damit erwirtschaftet. „Aber die internationalen Preise sind in den Keller gegangen und die Anbaukosten steigen.“ Die Arbeitslosigkeit in der Stadt betrage 50 Prozent. Drei Viertel der Familien könnten sich nicht ausreichend ernähren. „Von 1000 Kindern, die geboren werden, sterben 85 im ersten Lebensjahr.“
Da wirkt die finanzielle Hilfe Hamburgs von knapp 500.000 Mark jährlich wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch León ist dabei, seine Wirtschaft umzustrukturieren. Tourismus und Fischfang werden ausgebaut. Außerdem wird ein Baum gezüchtet, dessen Säfte in absehbarer Zeit Dieselkraftstoff ersetzten sollen. Von Unicef erhält León durch eine Hamburger Initiative 550.000 Mark für seine Kinder. Davon sollen unter anderem Straßenkinder und junge Prostituierte betreut werden.
Diese Gelder, so notwendig sie auch sind, ersetzen jedoch nicht die vielen Kontakte zwischen den Menschen. Peter Wack charakterisiert die Städtepartnerschaft zwischen León und Hamburg treffend: „Die Hilfe vom einfachen Arbeiter aus Hamburg bedeutet den Arbeitern in León unendlich viel.“
Am Dienstag Teil IV:
Interview mit Christl
Howaldt, Referatsleiterin
für Städtepartnerschaften
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