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■ Eine Million RussInnen gaben ihre Unterschrift, damit der Vater der Perestroika bei der Wahl gegen Jelzin antritt„Michail Gorbatschow ist die demokratische Alternative“

taz: Warum unterstützen Sie die Kandidatur Michail Gorbatschows?

Aleksej Mannanikow: Unsere Massenmedien wollen den russischen Wählern suggerieren, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder ihr wählt die Kommunisten oder Boris Jelzin. Leider hat ja auch Kanzler Helmut Kohl bei seinem letzten Moskaubesuch in die gleiche Kerbe gehauen, nach dem Motto: Es gibt keinen bessseren Präsidenten für Rußland als Jelzin. Michail Gorbatschow ist die Alternative sowohl zu Jelzin als auch zu Sjuganow.

Worin liegt diese Alternative?

Wofür Sjuganow und die Kommunisten stehen, muß ich wohl nicht erklären. Und mit Jelzin geht die Entwicklung eindeutig in Richtung eines oligarchischen, ja sogar eines faschistischen Systems. Der Tschetschenienkrieg, den er angefangen hat, bestätigt das. In genau entgegengesetzter Weise hat Gorbatschow agiert. Alle demokratischen Reformen in der Sowjetunion sind mit seinem Namen verbunden.

Die Sowjetunion gibt es aber nicht mehr, und als Demokraten bezeichnen sich heute in Rußland viele. Was hat Gorbatschow konkret anzubieten, um die heutigen Probleme in Rußland zu lösen?

Michail Gorbatschows Präsidentschaft würde die Fortsetzung demokratischer Reformen und die Bewahrung demokratischer Errungenschaften garantieren. Zur Frage nach seiner Kompetenz sage ich: Gorbatschow ist schon deshalb kompetenter als der derzeitige Präsident, weil er in einer besseren körperlichen Verfassung ist und die Situation nüchtern und mit klarem Verstand beurteilt – im Unterschied zu Boris Jelzin, dessen Alkoholprobleme ja bekannt sind. Eine Verlängerung von Jelzins Präsidentschaft bedeutet Unglück für das russische Volk.

Die körperliche Verfassung reicht wohl kaum, um die Menschen von Gorbatschows Qualitäten als Präsident zu überzeugen.

Natürlich gibt es für seine Kompetenz noch andere Gründe. Jemand, der ein Land sieben Jahre lang in Zeiten tiefgreifender Umwälzungen geführt hat, ist kompetent genug, um die aktuellen Probleme zu lösen. Nehmen wir den Tschetschenienkrieg: Gorbatschow ist der einzige, der ihn beenden kann. Außer ihm hat niemand auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion konkrete Erfahrungen mit der Beendigung von Kriegen. Gorbatschow hat den Krieg in Afghanistan und den Kalten Krieg beendet.

Und 1991 Truppen nach Litauen geschickt, um dem Unabhängigkeitsstreben dort mit Gewalt ein Ende zu setzen. Bei seinem Abgang vor fünf Jahren war von dem einstigen Reformer und Demokraten Gorbatschow nicht mehr viel übrig.

Das ist Vergangenheit. In der Entsendung der Truppen und den Ereignissen von Vilnius spiegelte sich der damalige Machtkampf zwischen dem Politbüro und den höchsten Vertretern des sowjetischen Staates wider. Daran trägt Michail Gorbatschow nicht die Alleinschuld. Er gibt allerdings zu, Truppen nach Baku geschickt zu haben. Das hat er selbst bereits mehrmals als großen Fehler bezeichnet.

Viele Menschen, besonders die ältere Generation, werfen Gorbatschow vor, die Sowjetunion zerstört zu haben.

Das glauben viele doch nur, weil sie ständig der Propaganda Jelzins und Sjuganows ausgesetzt sind. Aber jeder Irrtum klärt sich irgendwann auf. Gerade mit Gorbatschow wird uns das sehr leicht fallen. Der braucht keine spezielle Kampagne, weil ihn wirklich jeder kennt. Wer hat denn zum Beispiel in Afrika schon einmal etwas von Grigorij Jawlinski gehört? Wer Gorbatschow ist, wissen sogar die Aborigines in Australien.

Mit Gorbatschows Popularität in Rußland ist es nicht so weit her. Glaubt man letzten Meinungsumfragen, wählte ihn nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung.

Die Umfragen, die hier in Rußland durchgeführt werden, haben mit den wirklichen Wahlergebnissen nichts zu tun. Das war auch vor den Dumawahlen von 1993 so, da traf keine der Prognosen zu, und auch bei den Wahlen vom vergangenen Dezember lagen die Soziologen daneben. Mir liegen andere Ergebnisse von Umfragen aus größeren Städten mit Ausnahme von Moskau und Sankt Petersburg vor. Danach kommt Gorbatschow auf über fünf Prozent und liegt damit auf dem dritten Platz, hinter Sjuganow und Schirinowski.

Wo sehen Sie die potentiellen Wähler Gorbatschows?

Für Gorbatschow werden viele junge Leute stimmen. Ich selbst habe gesehen, mit wieviel Sympathie er in den Universitäten empfangen wurde. Außerdem werden ihn Angehörige der Intelligenz wählen, also Ärzte, Lehrer und Angestellte in Industriebetrieben. Alles in allem setzen wir auf die Einwohner größerer Städte. In kleineren Städten hat Gorbatschow wenig Chancen, da wird Sjuganow stark sein.

Im Gegensatz zu anderen Kandidaten hat Gorbatschow keine politische Partei, auf die er sich stützen kann. Ist das nicht ein Nachteil?

Um in Rußland die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, ist es nicht entscheidend, ob man eine Partei hinter sich hat. Für Sjuganow ist die Unterstützung durch die Kommunistische Partei wichtig, aber nicht für die anderen Kandidaten. Von der Verfassung her hat der Präsident fast die gleichen Vollmachten wie ein Zar. Und deshalb stimmt der russische Wähler für einen Herrscher. Und da kommt es auf die Persönlichkeit an, nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Partei.

Der russische Präsident als Herrscher mit fast unumschränkten Vollmachten – mit Demokratie hat das ja wohl nicht viel zu tun.

Der derzeitige Verfassungsaufbau Rußlands ist das schändliche politische Erbe Jelzins. Sollte Gorbatschow Präsident werden, wird er Änderungen veranlassen, die die Verfassung demokratischer machen. Unsere Chance liegt jedoch in der Herrscherwahl. Denn wenn Gorbatschow in den zweiten Wahlgang kommt, wird er jeden schlagen. Er ist einfach populärer, und die Menschen vertrauen ihm mehr. Sogar diejenigen, die gegen Gorbatschow sind, sehen in ihm den reiferen und erfahreneren Politiker. Und gerade weil es darum geht, einen Herrscher zu wählen, werden die Leute für Gorbatschow stimmen.

Das Gespräch führte

Barbara Oertel

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