Anna FastabendMidlife Monologe: Eine Kla-Motte kommt selten allein
Hoch die Hände, Wochenende, denke ich, als ich den Laptop zuklappe und in das zwei Schritte entfernte Schlafzimmer flaniere. Doch was erwartet mich da? Eine Kleidermotte. Fast wäre sie mir auf der speckigen Raufasertapete nicht aufgefallen. Aber dann bewegt sie sich ausgerechnet in dem Moment, als meine müden Augen zufällig ihren Platz streifen. Und schon bin ich wieder wach. Hellwach, um genau zu sein. Denn für eine Vintagejägerin mit Hang zum Horten ist eine Kleidermotte so ungefähr das Schlimmste, was passieren kann. Deshalb zögere ich auch keine Sekunde und haue gegen die Wand. Autsch! Daneben. Als ich mir die zwiebelnde Handfläche reibe, sehe ich, wie die Motte beschwingt davonfliegt.
Was folgt, möchte ich die drei Stufen der Realisation nennen. Erstens: Die Situation leugnen. Zweitens: Die Situation leugnen. Drittens: Im Internet nach den verschiedenen Mottenarten suchen, weil man sich ja auch geirrt haben könnte. Um es kurz zu machen: Hat man nicht. Und eine Motte kommt selten allein, dämmert es mir. Ich eile zur Kleiderstange und nehme das erstbeste Kleidungsstück in die Hand. Und siehe da: Es ist intakt. Allerdings ist es auch ein Polyesterkleid aus den Achtzigern, das zwar hübsch anzusehen ist, aber weder für Mensch noch Mottenlarve ein artgerechtes Zuhause bietet. Als nächstes begutachte ich ein Sakko aus Schurwolle, das ich für ein Zehntel des ursprünglichen Preises auf dem Flohmarkt erstanden habe. Mit zittrigen Fingern befühle ich den feinen Stoff. Schon lange warte ich auf eine Gelegenheit, es anzuziehen. Doch nun entdecke ich am Kragen ein Loch. Und welch Überraschung: Bei einem Fressschaden bleibt es nicht. Nach und nach offenbart sich das ganze Ausmaß der Zerstörung, die sich still und heimlich direkt neben meinem Bett zugetragen hat. Nicht nur das Wollsakko, auch ein Samtblazer und meine Lieblingsstrickjacke mussten dran glauben.
Fluchend recherchiere ich, was jetzt zu tun ist, und erfahre, was ich längst geahnt habe: Motten sind hartnäckig und die Methoden, um sie loszuwerden, brutal. Entweder wird geraten, sie samt den Klamotten einzufrieren oder sie zu erhitzen. Noch brutaler hört es sich für mich an, sie mit der Chemiekeule zu bekämpfen, oder Schlupfwespen auf sie anzusetzen, die ihre eigenen Eier in die der Motten legen und sie dadurch von innen auffressen. Auch ich esse tierische Proteine und koche mir fast jeden Tag ein Ei. Nun ja … Eine Freundin bringt mich auf die Idee, die Klamotten zu dämpfen. Nun ist es aber so, dass ich mich bis heute weigere, ein Bügeleisen in die Hand zu nehmen. Aus Prinzip. In meiner Familie war es nämlich meistens meine Mutter, die die großen Wäscheberge in faltenfreie Herrenhemden verwandelte. Und dies, zu meiner Verwunderung, nicht mal ungern.
Und nun soll ausgerechnet das meine Rettung sein? Als ich den Hybrid aus Föhn und Wasserpistole aus dem Karton hole, steigt eine seltsame Energie in mir auf. Kaum habe ich den ersten Pulli in heißen Dampf gehüllt, folgt auch schon der zweite. Plötzlich glaube ich zu verstehen, dass meine Mutter damals vermutlich nicht nur gebügelt, sondern auch ihren Emotionen Luft gemacht hat. So wie ich jetzt mit dem Steamer, der mich mit jedem gefährlichen Zischen gelassener werden lässt, obwohl ich nicht mal weiß, ob es etwas bringt. Aber eigentlich sind ja auch nicht die Motten das Problem, sondern es ist die Weltlage. Für einen Mann würde ich trotzdem niemals bügeln. Dafür ist generationsübergreifend noch zu viel offen.
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