: Eine Karriere in Deutschland
In Sarajevo war Alma Mahić-Zikić eine anerkannte Ärztin für Herz- und Rheumaerkrankungen, seit ihrer Flucht in die Bundesrepublik darf sie nur noch als Hilfskrankenschwester praktizieren ■ Aus Münster Christiane Raasch
Alma Mahić-Zikić hat Frühschicht. In der Zahnklinik des Universitätsklinikums in Münster stehen heute morgen vier Weisheitszähne, eine Gaumen- und Lippenspalte und ein gebrochener Oberkiefer auf dem Operationsplan. Hilfsschwester Alma räumt anschließend auf.
Seit 1992 lebt Alma Mahić-Zikić in Deutschland. Damals flüchtete sie zusammen mit ihren beiden Kindern Vesna und Drako aus dem Bürgerkriegsland Bosnien- Herzegowina. Eigentlich hatte sie nie vor, ihre Heimatstadt Sarajevo zu verlassen. Immerhin war die 42jährige dort eine angesehene Privatdozentin für Herzkrankheiten und Rheumatologie. Doch dann wurde eine Freundin, die in Sarajevo ebenfalls als Ärztin praktizierte, bei dem Transport eines Verwundeten von serbischen Heckenschützen erschossen. Bei der Beerdigung zielten serbische Soldaten in die Menge der Trauernden und verletzten die Tochter der Toten. Dem Mädchen mußte der linke Arm amputiert werden. Spätestens da wurde Alma Mahić-Zikić klar, sie muß ihre Kinder in Sicherheit bringen.
Mit einem Transport von 5.000 Frauen und Kindern verließ sie das Land und lebt seitdem in Münster. Ein Jahr lang lebten die drei von der Sozialhilfe. Besonders demütigend, so erinnert sich die Ärztin heute, war der Einkauf mit den Gutscheinen vom Sozialamt. Die herablassenden Verkäuferinnen, die neugierig gereckten Hälse der anderen an der Supermarktkasse, damit konnte sie sich nicht abfinden.
Alma Mahić-Zikić beantragte 1993 beim Regierungspräsidenten in Münster eine vorübergehende Berufserlaubnis. Der Regierungspräsident reichte den Antrag an das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit und Soziales weiter. Das Ergebnis: Die Spezialistin für Kardiologie und Rheumatologie darf in Deutschland nicht als Ärztin praktizieren. Schließlich komme sie, so das Ministerium, aus einem Land, das nicht zur Europäischen Union gehört.
Paragraph 10 der Bundesärzteordnung bestimmt, daß ÄrztInnen wie Alma Mahić-Zikić nur in besonderen Ausnahmefällen eine Erlaubnis zur Ausübung ihres Berufs erteilt werden darf. Da es sich bei dem besagten Paragraphen jedoch um eine Ermessensvorschrift handelt, könnte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sie per Erlaß außer Kraft setzen. Wie zum Beispiel 1982. Damals kamen iranische Mediziner ins Land, die ihre Heimat nach dem Sturz des Schahs verlassen hatten. Der sogenannte „Iraner-Erlaß“ ermöglichte es vielen persischen Ärzten, sich in der Bundesrepublik niederzulassen.
Einen ähnlichen Erlaß zugunsten der Ärzte aus dem ehemaligen Jugoslawien wird es nicht geben. Die Situation sei eben eine ganz andere, argumentieren die zuständigen Stellen im Düsseldorfer Ministerium und beim Regierungspräsidenten in Münster. Damals hätte in Deutschland Ärztemangel geherrscht, heute dagegen seien auch viele deutsche Ärzte arbeitslos.
Davon haben die Inhaber einer Praxisgemeinschaft in Moers bisher allerdings nichts bemerkt. Sie suchen seit gut einem Jahr einen Spezialisten für Herzkrankheiten. Die Stelle wurde bundesweit ausgeschrieben, doch ohne Erfolg. Dann erfuhren die Praxisinhaber von der bosnischen Kollegin in Münster, die dort als Hilfskrankenschwester arbeitet. Man war sich schnell einig. Alma Mahić-Zikić sollte eingestellt werden. Da viele PatientInnen der Praxis aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien stammen, wollte man zugleich vom Sprachtalent der Medizinerin profitieren, denn Alma Mahić-Zikić beherrscht sowohl Kroatisch als auch Türkisch. Doch das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit und Soziales machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
In einem Brief wird Alma Mahić-Zikić erklärt, es werde keine Veranlassung gesehen, Bürgerkriegsflüchtlingen aufgrund der besonderen politischen Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien eine Sonderbehandlung zu gewähren. Zudem sei davon auszugehen – so das Ministerium –, daß der Krieg im ehemaligen Jugoslawien nicht von Dauer sei und danach der dortige Bedarf an Ärzten nur schwerlich gedeckt werden könne. Nach aller Erfahrung seien diejenigen Ärzte, die in der Bundesrepublik praktiziert hätten, selten bereit, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Der „Fall Mahić-Zikić“ liegt derzeit dem Petitionsausschuß des Landtages von Nordrhein-Westfalen vor. Doch die Chancen stehen für Alma Mahić-Zikić nicht gut. Ein Jurist des Petitionsausschusses findet zumindest, Frau Mahić-Zikić habe schon mit ihrem Aufenthalt auf dem friedlichen Boden der Bundesrepublik das große Los gezogen, auch wenn sie hier nicht als Ärztin arbeiten dürfe. Er wäre sich ganz sicher, daß viele Menschen in Sarajevo sofort mit ihr tauschen würden. Im übrigen seien die rechtlichen Bestimmungen nun einmal eindeutig. Der Jurist ist sich ziemlich sicher, daß die Petition deshalb abgelehnt wird. Es bliebe also bei dem Berufsverbot.
Derweil arbeitet die Ärztin Alma Mahić-Zikić weiterhin als Hilfskrankenschwester in der Münsteraner Zahnklinik. Wenn die morgendlichen Operationen abgeschlossen sind, reinigt sie die Instrumente und den Operationssaal, räumt auf und sortiert alles wieder an seinen Platz. Anschließend gehört es zu ihren Aufgaben, ein Auge auf die frisch operierten Patienten zu werfen.
Wenn einer von ihnen unruhig wird und über Schmerzen klagt, darf die Ärztin aus Sarajevo jedoch nicht eingreifen und aus ihrem Erfahrungsschatz schöpfen. Dann muß sie sofort ihre Vorgesetzte rufen – eine Krankenschwester.
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