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Eine Frage von Tempo

„Alles ist Scheiße, wenn du nicht gut dabei aussiehst“: Die Skateboard-Dokumentation „Dogtown and Z-Boys“ von Ex-Profi Stacy Peralta versucht sich am nachträglichen Vermitteln populärer Mythen

von URS RICHTER

Die Mythen der Popkultur erwachsen weniger aus der Routine ihrer Heroen, als aus glorreichen Augenblicken. Wer will schon etwas von Aberhundert Brian Jones-Abstürzen wissen, solange der dabei nicht im Pool ersäuft? Wer interessiert sich für Dutzende Glamrockabende im CBGB, wenn ein einziges Konzert der New York Dolls den Punk erfindet? Wer will wissen, was Olli Kahn frühstückt, wenn ihm im entscheidenden Moment der Ball vom Handschuh platzt? Legendär sind nicht Legenden, sondern Events. Deren knappe Dramaturgie erfordert Dabeisein. Nacherzählen kann man sie nicht, man muss sie erleben. Darauf haben sich die Medien eingestellt. Keine Party, keine Peinlichkeit, keine Schlacht an der wir nicht teilhaben könnten – als wär‘s die letzte.

Wie aber lassen sich populäre Mythen rückblickend aufdröseln? Wie jene legendären Momente etwa fürs nachgeborene Publikum wiederholen? Und wie lässt sich das mediale Vakuum zwischen ihnen füllen? Dogtown and Z-Boys ist ein Dokumentarfilm über die Geburt des modernen Skatens. Herrlich unbedarfte Jungs erfinden in den frühen 70ern einen eleganten, bodennahen Stil, weil die Wellen am Venice Beach zum Surfen zu langweilig werden. Zusätzlich trocknet eine Dürre die kalifornischen Swimmingpools aus. Die sind betoniert wie Halfpipes und illegales, also umso exquisiteres Terrain. Der „Vert“, das Skaten in der Vertikalen ist geboren. Bald werden die Rotzlöffel Stars und nicht alle kommen damit klar. Entstehungsimpuls, Abenteuergeschichte und tragische Helden – was ein zünftiger Mythos benötigt, ist alles vorhanden, und Regisseur Stacy Peralta müht sich weidlich, den Weg der Subkultur von der Wiege zu ihrem Ausverkauf nachzuzeichnen.

Peralta gehörte früher selbst zur Clique. (Damals hat ihm eine Turnschuhfirma das Board finanziert, heute finanziert sie den Film.) Auch nahezu alle alten Kumpels kann er vor die Kamera bewegen und nahezu alle erinnern sich schwärmerisch zurück an aufregende Tage. Gestandene Zeitzeugen also autorisieren die Überlieferung und Sean Penn als Erzähler sowie Henry Rollins als Henry Rollins bürgen für deren Undergroundstatus.

Aber irgendwas klappt dann nicht, der Funke von einst will nicht überspringen. Die street credibility der Z-Boys wirkt bemüht, die alten Herrschaften sitzen in ihren mittelständischen Vorgärten und plaudern von der Revolution. Die findet nur als Geste statt. Die Wut oder Langeweile, die Eitelkeiten oder Verletzlichkeit, die sich in ihr versammelt haben mögen, kann oder will keiner der Befragten zur Sprache bringen, auch die Regie nicht. „Alles ist Scheiße, wenn du nicht gut dabei aussiehst“, lautet noch eine der reflektiertesten Einsichten.

Schnell löst sich auch der Film selbst in einen Look auf. Assoziativ schnipselt Peralta alte Photos, TV-Berichte, Schmalspurfilme zusammen, spult jaulend vermeintlich uninteressante Interviewpassagen vor und erlaubt im treibenden Soundtrack zwischen Beach Boys und Stooges kein Innehalten. Dramaturgische Spannung scheint eine Frage von bloßem Tempo. Effekte sollen den Hintergrund illustrieren: Lebensgefühl, Lokalkolorit, gesellschaftliche Dynamik.

Das Leben der Z-Boys bestand, so scheint es, dabei vor allem im Markieren des sozialen Raums. Der war durchsetzt von Abgrenzung. Wer nicht in Dogtown wohnte, bekam prophylaktisch aufs Maul. Mädchen standen nicht auf dem Board, sondern kichernd am Poolrand. Und wer war verdammtnochmal der Erste, der die Erde verlassen und sein Brett in der Luft gewendet hat? (Es war Jay Adams, der Begnadetste, Eleganteste, Durchgeknallteste auf dem Board und Traurigste im Restleben.) Sowas erfährt man. Aber darüber hinaus behandelt der Film den Zaungast dieser Brettlkultur auch 25 Jahre später immer noch als Fremden.

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