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■ Eine Debatte zur Unzeit, aber mit HintergedankenSolidarität ohne Beitrag?

Wir sind alle solidarisch mit dem Osten Deutschlands, gerne auch ohne Beitrag. Der Kanzler meint, daß die Landschaften jetzt blühten; manch' ein Ministerpräsident rief: „Verschwendung!“; ihm komme das jedenfalls zu teuer. Und also beginnt eine Diskussion zur doppelten Unzeit.

Einmal deshalb, weil es jetzt über den Solidarbeitrag nichts zu entscheiden gibt. Die Regierung will ihn erst kurz vor der nächsten Bundestagswahl streichen. Zum anderen wird aber über den Bundeshaushalt gesprochen. Die Frage lautet, was Bonn für Ostdeutschland ausgibt. Der Solidarbeitrag aber ist eine zusätzliche Einnahme.

Die Ost-CDU ruft nun nach Fortsetzung des Solidarbeitrages. Sie muß sich als tapfer kämpfender Anwalt des Ostens zeigen; wohl auch muß sie verschleiern helfen, daß die Fördermittel für Ostdeutschland schon gekürzt sind und weiter gekürzt werden. Der Finanzminister muß seine Seriosität behaupten. Der Beitrag falle 98, versprochen sei versprochen. Und die FDP will ihn schon früher loswerden, aber die war ja schon immer mehr für die Solidarität mit den Besserverdienenden.

Tatsächlich geht es darum, daß die ostdeutschen Bundesländer und Gemeinden einen unverändert hohen Nachholbedarf an Investitionen in die Infrastruktur haben; daß nach dem Zusammenbruch der DDR- Wirtschaft produktive Betriebe angesiedelt werden müssen; daß die Zahl der Firmenpleiten im Osten besonders hoch ist und die Zahl der Sozialhilfeempfänger auch. Und daß noch immer Massenarbeitslosigkeit herrscht und Zehntausende keine Lehrstelle finden.

Die West-Ost-Transfers dürfen nicht weiter gekürzt werden. Die Frage ist vielmehr, ob sie verläßlich sein werden für die Wirtschaft, ob sie ausreichend sein werden für die nötigen Investitionen. Oder ob der Bund jetzt ausgerechnet am Aufbau Ost spart. Die Wirtschaft muß wissen, woran sie ist. Hier Verunsicherung schaffen heißt, dem Osten zu zusätzlichen Problemen zu verhelfen.

Wenn Herr Waigel nachweist, das alles sei ohne den Solidarbeitrag möglich, freuen sich natürlich auch die Ossis. Wir zahlen den Beitrag zur Solidarität mit uns schließlich auch. Wolfgang Thierse

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