■ Eine Betroffene berichtet: Sabine S. lebt in Berlin, 30 Jahre, vier Kinder – und eine Million Mark Schulden: Eine dauernde Zerreißprobe
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum habe ich ihm geglaubt. Warum habe ich so lange mitgespielt? Warum habe ich es zugelassen, daß er meine Grenzen verletzt? Wann habe ich begonnen, mich zu vernachlässigen, bis nichts mehr übrig war außer einem diffusen Nein? Ich habe nichts mehr gegessen, nicht mehr gelesen, nicht mehr geschrieben – nur noch gearbeitet an dem aussichtslosen Versuch, eine Karre aus dem Dreck zu ziehen. Aussichtslos, weil er in eine andere Richtung zog. Warum habe ich bis zuletzt gezögert, rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Ich wußte nicht mehr ein noch aus und ging schließlich zu einer Anwältin, um mich von ihm zu trennen. Nach dem ersten Schriftsatz war die Situation zu Hause so geladen, daß ich vor Angst nicht weitermachte. Ein mißglückter Suizidversuch folgte – mein Mann hatte ihn nie ernstgenommen. Als er mich entmündigen lassen wollte, rappelte ich mich wieder hoch und versuchte einen neuen Weg. Ich übernahm seine Firma, um ihn anschließend loszuwerden.
Seine marode Firma übergab er mir gerne, verschwunden ist er leider nicht. Im Gegenteil, er mischte weiter mit, unterschrieb Verträge, mischte sich in Arbeitsabläufe ein, gab meinen Angestelten Anweisungen, nahm Kundengelder aus dem Tresor und kaufte sich davon einen Fernseher. Und – ich schwieg. Machte vor den Angestellten keine Szene. Es war mir alles ungeheuer peinlich. Schlagartig wurde mir klar, daß ich zugrunde gehen würde, wenn ich diese Beziehung nicht beende. Und plötzlich konnte ich mein Leben mit den Kindern neu gestalten.
Wären da nicht diese blauen Briefe, die zu beantworten mir der Mut fehlt. Ich weiß, es ist kaum vorstellbar, daß eine Frau, ausgestattet mit einer Portion Intelligenz und Sensibilität, nicht in der Lage ist, an Gerichte und Gläubiger Briefe zu schreiben und Fristen einzuhalten.
Die Scham, geschlagen worden zu sein, ist schlimmer als die Schmerzen. Die Scham, betrogen worden zu sein, ist schlimmer, als immer wieder Raten zu zahlen und zu warten, daß das Leben sowieso nicht ewig dauert. Das schlimmste aber ist die Scham vor sich selbst, ein Gefühl, das mich stumm werden ließ.
Aber ich bin ja nicht die einzige, der so etwas passiert ist. Mein Mann ist nicht verschwunden, aber ich weiß, daß viele Männer einfach abtauchen. Entweder sie verlassen das Land, oder sie sichern sich ihre Existenz über neue Strohmänner oder Strohfrauen, ohne auch nur einen Pfennig ihrer Schulden zu begleichen, geschweige denn für ihre Kinder oder Exfrauen Unterhalt zu bezahlen. Diese leben dann wahlweise von Sozialhilfe und ein paar Jahre vom Unterhaltsvorschuß des Jugendamtes oder von dem, was die Pfändungen von ihrem Lohn übriglassen. Sie bleiben nämlich durch ihre Kinder immer greifbar und sind innerhalb kürzester Zeit die einzigen Ansprechpartner der Gläubiger. Es folgen gerichtliche Mahnbescheide, Pfändungsbeschlüsse und schließlich der Offenbarungseid.
Doch für mich ist trotz allem vieles auch besser geworden: Wenn ich heute die großen Worte meines Mannes höre, seine Pläne, so kann ich darüber lachen und muß mich nicht mehr schämen für seine Großkotzigkeit. Und wenn immer wieder Leute auf ihn hereinfallen, so zeigt mir dies auch, daß ich nicht der einzige Trottel auf Erden bin, der auf seine Suggestivkraft hineingefallen ist. Überhaupt – ich lache mehr, seit ich alleine bin, trotz Gläubiger, und ich schaffe mehr, für mich, meine Kinder.
Ich bin selbstbewußter, stärker geworden. Ich war erst 21 Jahre alt, als das Drama begann. Dennoch, es ist noch lange nicht alles ausgestanden. Erst jetzt geht der zweite Akt zu Ende.
Heute bin ich 30 Jahre alt und habe noch viel Leben in und vor mir.s
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