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Eine Begegnungsstätte verschiedener Kulturen

■ Das Französische Gymnasium ist über 300 Jahre alt/ Schülerinnnen und Schüler aus 30 Nationen bereiten sich in der Schule der Verständigung auf das Abitur vor/ Eine Lehrerin: »Wer nicht bereit ist, zu lernen, mit Fremdheiten umzugehen, ist hier falsch«

Tiergarten. Eine Büste des Großen Kurfürsten, Schautafeln und Ölgemälde im Französischen Gymnasium künden von der Geschichte der Traditionsanstalt: Der kluge Monarch holte nicht nur 1685 mit dem Potsdamer Edikt Tausende von französischen Hugenotten ins Land; er sorgte auch dafür, daß deren Kinder in der neuen Heimat in ihrer Muttersprache unterrichtet werden konnten. Nach seinen Plänen entstand 1689 das Französische Gymnasium, »damit solchergestalt so wohl die Französische/ als Teutsche Jugend/ auch aus der Fremde/ dessen sich bedienen/ und darein studiren könten« — so das Schulstatut aus jener Zeit.

Die heutigen Lehrkräfte blicken nicht ohne Stolz auf die mehr als 300 Jahre alte Tradition des Hauses zurück, der sie sich auch heute noch verpflichtet fühlen. Neben einem, wie immer wieder betont wird, hohen Niveau, bietet die Schule vor allem die gleichzeitige Auseinandersetzung mit zwei Kulturen. Nach einem intensiven Sprachunterricht werden in der achten Klasse die deutschsprachigen mit den französischsprachigen Kindern in gemischten Klassen zusammgenfaßt und, unter Verwendung von Lehrmaterialien aus Frankreich, durchgängig in Französisch unterrichtet. Zu der deutschen Perspektive fügt sich so, ganz automatisch, die französische Sicht, eine Konstellation, die sich hin und wieder als problematisch erwies. Insbesondere die napoleonische Ära und die Jahre des Ersten Weltkrieges stellten das frankophile Gymnasium vor Zerreißproben. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Schule zudem wegen ihres hohen Anteils an jüdischen Schülern (30 Prozent) ins ideologische Schußfeld. Erst den Nationalsozialisten gelang es jedoch, die friedliche Koexistenz von jüdischen und nichtjüdischen deutschen und französischen Schülern zu zerstören.

Das direkt nach Kriegsende wieder neu eröffnete Gymnasium versteht sich noch immer als Begegnungsstätte zwischen verschiedenen Kulturen. Gemeinsam mit den deutschen und französischen Kindern bereiten sich Schüler aus fast 30 Nationen auf das Abitur beziehungsweise auf das französische Gegenstück, das beccalauréat, vor. Dennoch ist der Ausländerkinderanteil an dieser Schule — wenn man die französischen Kinder einmal nicht mitrechnet— vergleichsweise niedrig: Nur sieben Prozent der Schüler haben weder die deutsche noch die französische Staatsangehörigkeit; elf Prozent haben ein deutsches und ein französisches Elternteil. Weil die Zugangsvoraussetzung ein Einserzeugnis der vierten Grundschulklasse ist, so der Stellvertretende Schulleiter Niklas Klose, kommen hierher in der Regel Kinder »aus sehr behüteten Familien, in denen Bildung großgeschrieben wird«. Akademikerkinder aller Nationalitäten seien stärker vertreten, als an vielen anderen Berliner Gymnasien.

Auch viele Bewerbungen aus Ost-Berlin

Hauptbeweggründe für die Eltern, hier vorzusprechen, sind nach Angaben von Klose: Fortführung der Familientradition, eine frankophile Neigung und der Wunsch, die Kinder bereits nach der vierten Klasse aus der Grundschule zu nehmen, um sie in einer Prestigeschule unterrichten zu lasen. Vom letzten Motiv sind die Schulleitung und die Lehrkräfte nicht allzu begeistert. »Letztens«, erzählt Niklas Klose, »hatten wir hier einen Jungen, der auf die Frage, warum er denn aufs Französische Gymnasium will, antwortete, daß er gerne Latein und Englisch lernen möchte. Die hatten sich offenbar kurz vorher beim altsprachigen Gymnasium in Steglitz beworben.«

Seit der Maueröffnung interessieren sich auch viele Ostberliner Eltern für das Französische Gymnasium. Die fünften Klassen der deutschen Abteilung sind derzeit zu gut vierzig Prozent mit Kindern aus dem Ostteil der Stadt besetzt. »Wir wollten an unsere Tradition wiederanknüpfen, ein Gymnasium für alle Berliner Bezirke zu sein. Außerdem waren wir natürlich auch ein bißchen neugierig«, erklärt Klose die »Werbeaktion« des Gymnasiums in Ost-Berlin. Die Ost- West-Fusion hat, nach anfänglichen Startschwierigkeiten, offenbar funktioniert. Einen unterschiedlichen Leistungsstand kann Eva-Maria Stainicke, die Klassenlehrerin der 5b, entgegen allen landläufigen Vorurteilen, zwar nicht entdecken; auf der zwischenmenschlichen Ebene tauchten in ihrer Klasse jedoch bald die ersten Probleme auf.

»Ganz zu Anfang hatten wir einen Ost- und einen Westblock, die sich gegenseitig als Wessis und Ossis beschimpft haben«, erinnert sich die Klassenlehrerin. Sie reagierte mit einem Fragebogen zur Schulsituation auf die Feindseligkeiten. Auf diesem konnten die Kleinen ihre Eindrücke, Kritiken und Vorschläge aufschreiben. Das anschließende Gespräch sowie gemeinsame Aktivitäten mit den Eltern brachten offenbar Annäherung und Klärung. »Mittlerweile«, so Eva-Maria Stainicke, »verlaufen die Freundschaften quer« — für die Lehrerin eine Selbstverständlichkeit: »Die werden später noch mit ganz anderen Kindern konfrontiert. Wer nicht bereit ist, zu lernen, mit Fremdheiten umzugehen, ist hier an der falschen Schule.« Die Idee der Schule, ein Ort der Verständigung und Erweiterung des eigenen nationalen Horizonts, hält sie durchaus für übertragbar. Es stellt sich die Frage, warum es in dieser »multikulturellen« Stadt nicht viel mehr Schulen gibt, die der deutschen Sprache und Kultur eine andere zumindest gleichberechtigt zur Seite stellen. Sonja Schock

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