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Eine Alma mater für Erfurt

Thüringens Regierung ebnet den Weg/ Bürgerbewegung brachte den Stein für die Uni ins Rollen  ■ Von Jochen Wiesigel

Erfurt. Nach den erhitzten Debatten in den letzten Wochen scheint es nunmehr Gewißheit: Im Frühjahr nächsten Jahres bekommt Erfurt seine 1392 gegründete alte Universität zurück. Zwar steht der Gründungsbeschluß durch den Thüringer Landtag noch aus, doch niemand zweifelt mehr daran, daß die Abgeordneten dem entsprechenden Beschluß des Kabinetts von Ministerpräsident Josef Duchac folgen werden. Mit der Vorlage an den Landtag hat die thüringische Regierung in der vergangenen Woche auch gleich einen Fahrplan zur Gründung der Hochschule vorgelegt. Wenn es nach Wissenschaftsminister Ulrich Fickel ginge, sollten bereits in der Stadt bestehende Hochschuleinrichtungen in die Erfurter Universität integriert werden. Zunächst sehen die Pläne eine medizinische und eine geisteswissenschaftliche Fakultät mit Fächern wie Philosophie, Soziologie und Kommunikationswissenschaften vor. Später sollen auch wieder eine theologische und eine philologische Fakultät entstehen. Für die Neugründung sind 700 Millionen Mark aufzuwenden, das Land Thüringen muß davon allerdings nur 200 Millionen selbst aufbringen.

Vor allem wegen der enormen Kosten war es angesichts der äußerst angespannten Wirtschaftslage in dem nicht gerade reichen Bundesland Thüringen immer wieder zu Kontroversen gekommen. Auch wurde gefragt, ob denn in Erfurt unbedingt eine solche Hochschuleinrichtung nötig sei, da sich doch mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena in unmittelbarer Nachbarschaft eine angesehene Hochschule befindet. Akademische Kreise in Jena befürchteten gar ein „Ausbluten“ ihrer Uni.

Aufwind erhielten die Befürworter einer Universitätsgründung in Erfurt durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker während seiner Thüringen-Visite am 17. April. Vor Freunden und Förderern einer Europäischen Universität Erfurt hatte er seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß über die gegenwärtigen wirtschaftlichen Sorgen die geistigen Lebensgrundlagen und die historischen Perspektiven nicht aus den Augen verloren werden dürften.

Die Gründung einer Universität verglich er mit dem Anlegen von Wäldern. Langfristig betrachtet sei es nur positiv, wenn sich diese uralte Kulturlandschaft, die Thüringen immer gewesen sei, im Bereich der Forschung und Lehre im deutschen und im europäischen Bereich einen neuen großen Namen verschaffen könne, hatte Weizsäcker betont.

Die alte Universität Erfurt hatte einen großen Namen. 1392 von einem wirtschaftlich starken und selbstbewußten Bürgertum der Stadt gegründet, gehörte sie neben Prag, Wien, Heidelberg und Köln zu den ältesten Universitäten Mitteleuropas. Hier studierte einst Martin Luther, der große Reformator. Aus gutem Grund konnte der Humanist Eobanus Hessus sagen: „Erfurt strahlt im Ruhm der Wissenschaft, vor allen Städten Deutschlands trug es im Wettkampf die Siegespalme davon.“ Im 16. Jahrhundert erlangte die Alma mater als Stätte der Humanistenbewegung sogar Weltbedeutung, bis sie 1816 von der preußischen Regierung geschlossen wurde. Während des Zweiten Weltkriegs wurde unter anderem das berühmte „Collegium Maius“ wieder zerstört.

Wenn 600 Jahre nach ihrer Gründung wieder Vorlesungen in der Erfurter Uni gehalten werden, wollen auch diejenigen mit von der Partei sein, die den Stein überhaupt erst ins Rollen brachten. Die Idee zur Wiedergründung der Alma mater Erfurdiensis ging von einer Bürgerinitiative aus. 1987, als immer mehr Menschen die DDR verließen, weil sie keinen anderen Ausweg sahen, bildeten einige vorwiegend junge Leute um den Arzt Aribert Spiegler die Interessengemeinschaft „Alte Universität“. Sie trugen sich also bereits vor der Wende mit dem Plan, die Erfurter Uni wiedererstehen zu lassen, auch wenn sie von manchen belächelt wurden. Sogenannte „Tage der alten Universität“ riefen sie ins Leben. Die Initiatoren brachten Gedenktafeln an ehemaligen Universitätsgebäuden im Lateinischen Viertel an und wollten den Erfurtern etwas von dem Bewußtsein vermitteln, in einer Stadt zu leben, die einst eine Bildungsstätte von hohem europäischen Rang besaß. Bei aller Freude über den Erfolg wird jetzt — vorwiegend von Studenten — gelegentlich die Befürchtung geäußert, die alte Universität Erfurt könne zum bloßen Prestigeobjekt werden. ap

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