: Eine 3 fürs Pipi machen
Schöne neue Arbeitswelt in den Bremer Call Centern: Die Branche ist angeschlagen, Mitarbeiter wie Kunden werden häufig überwacht – auch ohne Ankündigung. Die Gewerkschaften sind besorgt
„Guten Tag, hier spricht Frau Soundso, womit kann ich Ihnen helfen?“ Wer ein Flugticket bestellt, den Stand seines Gaszählers durchgeben will oder einfach nur eine Telefonnummer wissen möchte, dürfte den Spruch schon gehört haben. Aber wahrscheinlich wissen nur die wenigsten, dass beim Anruf im Call Center möglicherweise ein Dritter mithört – nur zu Trainigszwecken, nur zur Qualitätskontrolle. Der Lauschangriff bleibt oft unangezeigt – und unbemerkt vom Kunden. Mit einer Telefonnummer und einem Code ließen sich vor zwei Jahren auch in Bremen Kundengespräche eines Call Centers mithören – von jedem beliebigem Telefon.
Big Brother is listening to you – wie sehr, wurde jetzt beim so genannten Netzwerk-Treffen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi klar: „Wohl an wenigen Arbeitsplätzen sind die technischen Möglichkeiten, Arbeitsleistung und Verhalten der Beschäftigten zu kontrollieren, so ausgeprägt wie bei Call Centern“, sagte Verdi-Sekretärin Kornelia Knieper.
Der Wind weht derzeit rau in der Branche. Auch in der „Call Center City“ Bremen – das ist der Titel, den man sich an der Weser einst schützen ließ. Derweil droht aus der Jobhoffnung ein Rohrkrepierer zu werden. Nach dem Ende von Netcenter und Telegate gibt es noch knapp 2.500 Telefonistenjobs in der Stadt – aber nicht nur die Kunden, auch die Mitarbeiter stehen unter der Kontrollknute.
Das Kontrollsystem hat Methode. „Wir drücken die 3 am Telefon für Pipi machen, eine 4, wenn wir ins Meeting gehen, eine 5 für Administratives und eine 6 für Service-Tätigkeiten“, erzählte eine Bremer Call Center-Mitarbeiterin, die natürlich lieber anonym bleiben möchte. Natürlich erhält der Teamleiter auch am nächsten Tag eine Liste, die genau aufzeigt, wer wann wie oft Austreten war. Und natürlich ist die Liste quasi frei zugänglich für alle Mitarbeiter.
Monitoring (Mithören) oder Mystery-Calls (Testanrufe) heißen weitere Folterinstrumente der Branche. Bisweilen steht es im Arbeitsvertrag, mal wird die Erlaubnis der Mitarbeiter, dass der Chef mitlauschen darf, sogar an eine Höhergruppierung beim Lohn gekoppelt. Bei einem Fall in Hannover mußten die Angestellten echte Wissenstests absolvieren, um Callcentern zu dürfen. „Die Firma legte ihren Leuten eine Einverständniserklärung zum Abzeichnen vor – sonst könne man den Auftrag nicht durchführen“, erzählt Verdi-Frau Knieper.
Es ist nicht nur so, dass eine Fluglinie ihrem Subunternehmer genau vorschreibt, wie lange ein Telefonat durchschnittlich zu dauern hat – etwa „genau 441 Sekunden“, wie eine Teilnehmerin des Treffens erklärte. In den Centern gibt es auch so genannte Boards, die anzeigen, wie lang die Warteschleife ist und wieviel Anrufer drin hängen.
„Viele Mitarbeiter lassen sich davon unter Druck setzen“, kritisierte Gerd Schweizer vom Verdi-Projekt Call Center. Dabei habe der Betriebsrat – leider nur selten vorhanden – viele Möglichkeiten. Schweizer: „Laut Bildschirmarbeitsverordnung darf ohne Wissen der Benutzer kein Monitoring verwendet werden.“
Immerhin hat sich auch schon der Bremer Datenschutzbeauftragte Sven Holst mit den Sitten der Branche beschäftigt. Laut Holst ist eine permanente Überwachung der Mitarbeiter nicht statthaft. Gelegentliche Stichproben seien jedoch zulässig, vor allem in der Einarbeitungsphase. Aber: Der Vorgesetzte sollte nur in Gegenwart der Mitarbeiter mithören, die Überprüfung ankündigen und sie auch sofort auswerten – das ist dann die wirklich schöne neue Arbeitswelt. Kai Schöneberg
Bremer Call Center Initiative: http://www.labourcom.uni-bremen.de/callcenternetz/index.htm
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