Eindrücke aus der syrischen Hauptstadt: Kommt jetzt das bessere Leben?
Schlangestehen vor den Banken, „Allahu Akbar“-Rufe vor den Bars. Zwei Wochen nach der Befreiung ist die Stimmung in Damaskus ambivalent.
Es ist der 22. Dezember, Rentenzahlungen und Gehälter sollten bereits auf den Bankkonten sein. Doch weil das Regime von Baschar al-Assad vor zwei Wochen kollabiert ist und sich die neue Regierung gerade erst formiert, ist vielen noch unklar, ob ihre Gehälter diesen Monat die Banken erreichen.
Strahlend lächelt ein Mann mittleren Alters mit Wollmütze und grauem Bart, während er sich durch die Menge kämpft, zwei Geldscheinbündel in der Hand. „Ich stand fünf Stunden lang in der Schlange!“, verkündet er. Für 280.000 syrische Pfund, etwa 20 Euro, so niedrig ist ein Monatsangestelltengehalt. Zum Vergleich: Etwa 18 Euro kostet eine Flasche Gas, die man zum Kochen und Heizen braucht. Und doch sagt der lächelnde Mann: „Ich bin optimistisch für unsere Zukunft.“
Eine ältere Frau klagt hingegen, man sagte ihr, es gebe kein Geld mehr. Eine weitere sagt, man erwarte jetzt viel von der neuen Regierung: Eine bessere Stromversorgung – derzeit ist sie auf vier Stunden pro Tag beschränkt – und höhere Löhne, Stabilität, Schutz vor einer israelischen Besatzung, Sicherheit, jetzt, wo der alte Sicherheitsapparat zerlegt wurde und ein neuer entstehen soll. Manche beschweren sich über Raubüberfälle, vor allem nachts, außerhalb der Stadt.
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Die neue Übergangsregierung steht
Am 8. Dezember haben in Damaskus Rebellen die Macht übernommen. Präsident Baschar al-Assad flog nach Russland, zwei Tage später gab Premierminister Mohammad al-Jalali sein Amt offiziell auf.
Inzwischen stehen 16 Minister der neuen Übergangsregierung der Rebellengruppe HTS (Hayat Tahrir al-Sham) fest, die in einer Blitzoffensive das Assad-Regime stürzte. Der neue Premierminister Mohammed al-Baschir war bereits seit Januar Premierminister der sogenannten „Heilsregierung“ der HTS in der Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten des Landes. Der 41-Jährige ist eigentlich Diplomingenieur und Jurist. Vor dem syrischen Bürgerkrieg arbeitete er in einem staatlichen Gasunternehmen, doch nach 2011 sattelte er in die Politik um.
In verschiedenen Interviews betonte der bärtige Mann in Krawatte und Anzug die Notwendigkeit, Dienste wie Schulbildung, Stromversorgung und Gesundheitswesen fortzuführen, und appellierte an syrische Geflüchtete im Ausland, nach Syrien zurückzukehren. „Jetzt ist es für dieses Volk an der Zeit, Stabilität und Ruhe zu genießen“, sagte er dem TV-Sender Al Jazeera kurz nach seiner Berufung. Es habe Treffen mit Mitgliedern der alten Regierung und der aus Idlib gegeben, um die Arbeit der nächsten zwei Monaten zu gewährleisten, bis ein neues Verfassungssystem fertig sein wird.
Am Samstag hat die neue Regierung weitere Posten besetzt. Der neue Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra war laut Reuters eine prominente Figur bei der Rebellenoffensive gegen Assad, unter dem Kampfnamen Abu Hassan soll er mehrere militärische Operationen geleitet haben. Der bärtige Ex-Landwirtschaftsingenieur und Kommandeur in olivgrünem Sakko ist HTS-Verbündeter ebenso wie der neue Außenminister Assad Hassan al-Shibani, ein 37-jähriger promovierter Politikwissenschaftler, der vor seiner Ernennung in der Regierung in Idlib arbeitete.
Fast alle neuen Minister waren zuvor in der HTS-nahen „Heilsregierung“ in Idlib aktiv. Der HTS-Anführer selbst, Ahmed al-Sharaa alias Abu Mohammad al-Jolani, spielt weiter eine entscheidende Rolle und gibt sich aktuell große Mühe, die Rebellen – die international als Terrororganisation gelistet sind – als gemäßigt, inklusiv und friedensstiftend zu zeigen. „Menschen, die sich vor einer islamischen Regierung fürchten, haben entweder eine inkorrekte Umsetzung davon gesehen, oder haben sie nicht verstanden“, sagte er in einem CNN-Interview. Und zu den Minderheiten: „Es muss einen gesetzlichen Rahmen geben, der die Rechte aller schützt.“ Die neue Regierung besteht ausschließlich aus Männern, lediglich die Abteilung für Frauenangelegenheit wird weiblich geführt.
Demonstrationen und Provokationen
Vor wenigen Tagen haben junge Menschen in Damaskus für Gleichberechtigung und gegen eine Islamisierung der Politik protestiert. Unter ihnen waren auch viele Frauen ohne Kopftuch. Bewaffnete Milizionäre schauten gelassen zu. In Damaskus gehen unverschleierte Frauen allein oder in Gruppen durch die Stadt spazieren. Einige äußern jedoch in Gesprächen Bedenken, sich nachts aus dem Haus zu trauen. Sie trauen den neuen Machthabern noch nicht.
Und sie sind nicht die einzigen. „Ich bin besorgt und möchte eine Regierung, die alle Ethnien mit einschließt“, sagt ein christlicher Mann in den Straßen von Damaskus. In den Gassen der Altstadt hängen Weihnachtsdekorationen, bunte Lichter leuchten quer über die Straßen. Am Freitagabend waren viele Bars im christlichen Viertel geöffnet.
Entspannt war die Lage trotzdem nicht. Eine Gruppe junger Männer fuhr direkt an den Restaurants vorbei, schrie mehrfach „Allahu Akbar“. Heimische und ausländische Besucher*innen erstarrten mit ihren Gläsern Wein und Arak in der Hand, manch einer blickte kreidebleich nach draußen, ein weiterer murmelte was von „Daesh“ („Islamischer Staat“). Dann fuhren die Jungs weg. Eher Provokation als Gefahr. Und doch fühlen sich Christen nicht ganz sicher – wenn es auch bislang keine Vorfälle gab. Männer in Zivil patrouillieren die Gegend mit ihren Kalaschnikows.
Deutsche Diplomaten waren schon da
In der Zwischenzeit haben westliche Regierungen angefangen, Kontakt zur neuen Regierung aufzunehmen. Am vergangenen Dienstag führte bereits eine deutsche Delegation Gespräche mit al-Sharaa. „Jede Zusammenarbeit setzt voraus, dass ethnische und religiöse Minderheiten geschützt und die Rechte von Frauen geachtet werden“, teilt auf Nachfrage das Auswärtige Amt mit. Es herrsche jedoch Einigkeit, „einen syrisch geführten politischen Übergangsprozess unter Einbezug aller religiösen und ethnischen Gruppen zu unterstützen“.
Ungeachtet der Frage um ihre ideologische Ausrichtung steht die neue syrische Regierung vor riesigen Herausforderungen. Nicht nur soll sie eine völlig zerstörte Wirtschaft und Infrastruktur wiederaufbauen und den Staat wieder zum Funktionieren bringen.
Sie muss eine Vielzahl an verschiedenen Gruppen in den verschiedenen Landesteilen unter Kontrolle behalten, um neue Konflikte zu vermeiden: Drusen im Südwesten, kurdische Milizen im Nordosten, Gruppen ehemaliger Armeeoffiziere im Süden, Türkei-nahe Milizen im Norden, um nur die wichtigsten zu nennen. Und gleichzeitig muss sie eine Wiederbelebung des IS im Landesinneren verhindern, ethnische und politische Racheakte vermeiden sowie den Kämpfen zwischen Kurden und protürkischen Milizen im Nordosten ein Ende setzen.
„Auf der nationalen Ebene besteht die Herausforderung, dass sich andere Rebellengruppen in der neuen Ordnung nicht ausreichend beteiligt sehen und ihrerseits gegen die HTS rebellieren könnten“, sagt Syrien-Experte André Bank vom deutschen Politikinstitut GIGA. Die Interimsregierung soll bis März im Amt bleiben. Wie es danach weitergeht und ob die Erwartungen in Erfüllung gehen, bleibt unklar.
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