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Eindeutige Signale des Todes festgestellt

■ Hautarzt bestreitet Taten aber weiter

Alle reden vom Sparen. Auch der 36jährige Hautarzt Stefan S. Eigentlich könnte man meinen, der wegen Mordes und dreifachen Mordversuchs an Prostituierten angeklagte Doktor habe andere Probleme als das Geld. Hat er auch, denn die Indizien in dem seit vier Wochen vor dem Landgericht stattfindenden Mordprozeß ohne Leiche sprechen eindeutig gegen ihn.

Aber der Arzt scheint noch nicht realisiert zu haben, daß seine Situation zunehmend aussichtsloser wird. Sonst hätte er am vergangenen Montag nicht erklärt, die „neuen Konstrukte“ des Staatsanwalts hätten keine Beweiskraft, auch nicht ein 75.000 Mark teures Fasergutachten: „Es wäre besser, dem Steuerzahler diese Kosten zu ersparen“, meinte der Angeklagte. Staatsanwalt Hartmut Schneider gab zurück: „Für die Aufklärung von Tötungsdelikten ist dem Staat nichts zu teuer.“

Die Szene ist charakeristisch für den Verlauf dieses Indizienprozesses. Staatsanwalt Schneider ist davon überzeugt, daß der Hautarzt noch mehr Tote auf dem Gewissen hat, als in diesem Verfahren angeklagt. Kernstück des Prozesses ist der Fall der 18jährigen Szanett S., die gelegentlich auf den Strich ging und am 2. März diesen Jahres spurlos verschwand. Der Staatsanwalt ist sich sicher, daß der Hautarzt die junge Frau in seiner Wohnung mit einer Plastiktüte und einem Ledergürtel erdrosselt hat. Von der Leiche fehlt allerdings jede Spur.

Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen versucht Schneider nun, den Beleg für seine Mordthese zu erbringen. Wichtigstes Indiz sind mehrere in der Wohnung des Arztes gefundene Fotos, die nach Auffassung des Staatsanwalts die tote Szanett S. zeigen. Der Hautarzt bestreitet dies. Die Frau, die auf den Bildern mal auf einer Luftmatratze liegt, mal zusammengesunken in einer Babybadewanne kauert, sei weder tot, noch handele es sich um Szanett S., erklärte er.

Vergangene Woche identifizierten Freunde und Angehörige die auf den Bildern abgebildete Frau vor Gericht eindeutig als Szanett S. Das Gesicht der Frau ist zwar nicht zu sehen, aber die gefärbten Strähnchen, der Fingerring, das Speckbäuchlein, die Schuhe und der Pullover entpuppten sich als eindeutige Erkennungsmerkmale. Mit diesen Zeugen hatte der Staatsanwalt die erste Hürde genommen.

Vergangenen Montag nahm er die zweite. An diesem Tag erstattete der Rechtsmediziner Marcus Rothschild sein Gutachten, das einem Seminar über Leichenkunde glich. Auf den Fotos sind an der rechten Hand der Frau sowie an ihrem Hals und entblößtem Bauch rot-grau-violette Verfärbungen zu sehen. „Die Farbe und Lokalisation sprechen für Totenflecken“, erklärte Rothschild. Die grüne Verfärbung des Bauches sei typisch für eine beginnende Fäulnisveränderung. Ob es nicht auch ein Bluterguß, ein Hämatom oder einfach ein Schatten sein könnte, nahm der Angeklagte den Gutachter mit einem triumphalen Unterton ins Kreuzverhör, nicht ohne hinzuzufügen: „Ich bin ja nun nicht gar nicht vom Fach.“

Der Experte Rothschild, der die Bilder im Frühjahr das erste Mal sah und dabei intuitiv dachte, die Abgebildete sei tot, begründete, warum detailliert Hämatome und Blutergüsse nicht in Frage kämen. Sein Fazit: Wenn die junge Frau nicht an Hautkrankheiten litt, am Bauch nicht geschminkt war und es sich bei den Verfärbungen nicht um fototechnische Veränderungen handele, blieben nur die Fäulnisflecken als eindeutige Signale des Todes übrig.

Zuvor hatte ein Gutachter vor Gericht fototechnische Veränderungen als „sehr unwahrscheinlich“ bezeichnet: Zwei verschiedene Filme müßten genau an derselben Stelle die gleiche farbliche Veränderung aufweisen. Zu seinem Pech hatte der Angeklagte nämlich sowohl mit einer Polaroid- als auch mit einer Kleinbildkamera geknipst. Der bis zum Februar anberaumte Prozeß wird heute fortgesetzt.

Plutonia Plarre

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