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Einbürgerungen und WahlrechtBerlin tut nicht genug

Das Einbürgern dauert weiter zu lange, sagt Elif Eralp von der Linken. Um die „demokratische Lücke“ zu schließen, fordert sie das Wahlrecht für alle.

Weil es bei den Einbürgerungen hakt, darf ein großer Teil der Ber­li­ne­r*in­nen am Sonntag kein Kreuzchen machen Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | Die Unzufriedenheit von Menschen, die zum Teil seit Jahren auf ihre Einbürgerung warten, wächst rasant: Die Zahl der Untätigkeitsklagen gegen die Verwaltung stieg von 402 im Jahr 2023 auf 1.662 Klagen in 2024. Dies geht aus bisher unveröffentlichten Antworten der Innenverwaltung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp hervor, die der taz vorliegen.

Die Zahlen zeigten, dass es ein Fehler gewesen sei, die „Altfälle“ unter den Anträgen bei der Umstellung im vorigen Jahr nicht vorzuziehen, kritisiert Eralp. „Schnell hohe Einbürgerungszahlen über Online-Anträge zu präsentieren war leider wichtiger als eine gerechte Bearbeitung für alle.“

Im Januar 2024 hatte das Landesamt für Einwanderung (LEA) die Zuständigkeit für Einbürgerungen von den Bezirken übernommen. Dort hatten sich zuletzt mehr als 40.000 Anträge auf Einbürgerung angesammelt, über die noch nicht entschieden war – manche Anträge waren schon fünf Jahre alt.

Diese „Altfälle“, die noch in Papierform gemacht worden waren, werden seither aber nicht prioritär bearbeitet, sondern parallel zu Neuanträgen, die seit Anfang 2024 digital beim LEA eingereicht werden. Dies führt dazu, dass neue Anträge von 2024 teils nach wenigen Monaten zur Einbürgerung führen, während viele „Altfälle“ weiterhin warten müssen.

Gebühren von 255 Euro

Eralp kritisiert auch den Hinweis von LEA-Chef Engelhard Mazanke, Alt-Antragsteller könnten ihren Antrag ja nochmal digital stellen, dann gehe es voraussichtlich schneller. Dies sei für viele keine Alternative, so Eralp, da die Gebühren von 255 Euro pro Antrag nochmal fällig werden.

Besonders wichtig ist Eralp das Thema Beschleunigung bei den Einbürgerungen auch wegen des „massiven Demokratiedefizits“. Damit meint sie, dass gerade in Berlin große Teile der Bevölkerung – rund 20 Prozent, in manchen Vierteln bis zu ein Drittel – kein Wahlrecht haben, weil sie keinen deutschen Pass besitzen. „Diese Menschen sind nicht an Entscheidungen beteiligt, die sie selbst betreffen.“

Laut den vorgelegten Zahlen haben im Bezirk Mitte zum Beisipel 34 Prozent der Erwachsenen keinen deutschen Pass. Davon sind 10 Prozent EU-Bürger, dürfen also bei Kommunalwahlen abstimmen – aber nicht kommenden Sonntag bei der Bundestagswahl. Insgesamt gab es in Berlin laut der Anfrage zum Stichtag Ende Juni 2024 rund 2,4 Millionen erwachsene deutsche Staatsbürger, 242.783 erwachsene EU-Bürger sowie 590.178 erwachsene Nicht-EU-Ausländer.

„Demokratische Lücke“ bleibt bestehen

Eralp geht davon aus, dass die „demokratische Lücke“ mit einem hohen Prozentsatz von Nicht-Wahlberechtigten nicht so bald durch Einbürgerungen geschlossen werden wird. Dafür gebe es auch nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im vorigen Jahr zu viele Hürden, etwa Einkommensvoraussetzungen, Sprachtests und „entwürdigende Einbürgerungstests“, sagte sie der taz.

Daher setzt sie sich weiterhin für ein „Wahlrecht für alle“ unabhängig von der Staatsangehörigkeit ein. Dies sei gerecht, „weil jede*r, der*­die von Regierungshandeln und parlamentarischen Entscheidungen und Gesetzen betroffen ist, auch über das Zustandekommen der Parlamente mitentscheiden können sollte“.

Senat ist gegen Ausweitung des Wahlrechts

Eralp hatte daher in ihrer Anfrage auch gefragt, wie der Senat zu einer Ausweitung des Wahlrechts auf dauerhaft hier lebende Nicht-Deutsche stehe und ob er eine entsprechende gesetzliche Änderung auf Landes- und Bundesebene anstrebe. Antwort: Nein, dies sei „nicht Gegenstand der Regierungspolitik“. Zudem würde ein solches Vorhaben „zunächst eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich machen“.

Laut Eralp sehen dies viele Ju­ris­t*in­nen heutzutage anders. Es sei ein „Armutszeugnis“, findet sie, dass der Senat nicht vorhabe, das Wahlrecht auf Menschen ohne deutschen Pass auszuweiten. „Auch weil der Senat offensichtlich auch sonst keine Ideen hat, wie die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte verbessert werden kann außer über Einbürgerungen.“

Unterstützung bekommt die Linken-Politikerin vom Bündnis „Pass(t) uns allen“, das sich ebenfalls für ein Wahlrecht für alle unabhängig von der Staatsangehörigkeit sowie weitere Erleichterungen bei der Einbürgerung einsetzt. Olga Gerstenberger vom Bündnis sagt, es sei „als demokratische Gesellschaft nicht hinnehmbar, dass 14 Prozent der Erwachsenen in Deutschland kein Mitspracherecht haben“. Denn die Menschen lebten hier, arbeiteten, zahlten Steuern und seien betroffen von Regierungshandeln auf jeder Ebene.

Es brauche dringend einen Perspektivwechsel, findet Gerstenberger: „Weg von den rassistisch geprägten Diskussionen über Abschiebungen und einen möglichen Entzug der Staatsangehörigkeit, die den Wahlkampf dominieren, hin zu der Erkenntnis, dass wir längst eine postmigrantische Gesellschaft sind, in der gleiche Rechte für alle gelten sollten.“

Vorbild Neuseeland

Vorbilder für eine Ausweitung des Wahlrechts gebe es viele, erklärt Gerstenberger. So kennen 14 von 27 EU-Staaten das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige (also Nicht-EU-Ausländer) sowie vier EU-Länder das Wahlrecht auf regionaler Ebene für diese Gruppe. Und in Neuseeland gibt es das uneingeschränkte Wahlrecht für Ausländer schon nach einem Jahr Aufenthalt im Land.

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1 Kommentar

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  • Es ist bedauerlich, dass Einbürgerung nicht ein "automatischer" Ablauf bei den Einzubürgernden und der "Stammbesetzung" ist.



    Wenn so ein Vorgang gesteuert werden muss, gibt es immer Ecken, Kanten, Schrammen und Beulen bei den Betroffenen. Leider funktioniert ein natürlicher Ablauf heutzutage nicht mehr.