■ Italiens Ministerpräsident Dini will nicht zurücktreten: Ein zweiter Andreotti?
Wenn es so weitergeht, droht Italien die Entwurzelung der demokratischen Grundlagen. Und das nicht etwa durch die noch vor einem Jahr gefürchteten Rechtsradikalen, sondern durch die Machenschaften des im Ausland hochangesehenen Regierungschefs Lamberto Dini und seines Protektors, Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro.
Dini hatte im Herbst das Versprechen gegeben zurückzutreten, weil ihn sonst das Abgeordnetenhaus bei einem Mißtrauensvotum gestürzt hätte. Nun hat Scalfaro die Demission zurückgewiesen und schickt Dini erneut ins Rennen – mit der zynischen Vorgabe, er möge doch sehen, wer die Schuld für einen Sturz der Regierung just zu Beginn der EU-Präsidentschaft Italiens auf sich nehmen wolle. Dini wußte von dieser Absicht Scalfaros natürlich, und so kann man sein damaliges Versprechen nur als Betrug am Parlament und damit am Volk werten.
Zur Erinnerung: Dini steht einem reinen Fachleutekabinett vor, nicht ein einziges seiner Mitglieder wurde vom Volk ins Parlament gewählt. Es handelte sich um eine Notlösung und war als solche vor einem Jahr auch von Dini und von Scalfaro deklariert worden. Im Parlament war nach dem Sturz der Rechtsallianz unter Berlusconi keine politische Mehrheit zustande gekommen, und die Linke sowie Scalfaro fürchteten bei Neuwahlen einen erneuten Sieg der Rechten. Mittlerweile sind die damals vorgesetzten sechs Monate längst vergangen, die vorgegebenen Aufgaben erledigt. Doch Dini zeigt Aussitzer-Qualitäten, wie sie vor ihm nur der siebenmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti bewiesen hatte. Mit ständig neuen Ausreden hat er seine Regierung weitergehangelt, und nun plant er sogar übers „europäische Semester“ hinaus: Wenn es zu einer großen Koalition kommen sollte, will Dini deren Chef sein.
Europas Regierungschefs zeigen sich befriedigt über den Verbleib von Dini. Kohl lobt ihn als den „richtigen Mann an der Spitze“. Die Frage ist, ob Kohl sich bewußt ist, was er da lobt: Es ist das erste westeuropäische Experiment mit einer nachdemokratischen Regierungsform, wo das Parlament zum reinen Spielball eines präpotenten Staatspräsidenten und eines schlitzohrigen Regierungschefs verkommt. Daß die Italiener von der Technokraten-Regierung längst genug haben, zeigen die Umfragen deutlich. Aber um die demokratische Realität in ihren Mitgliedsländern ist die EU ja bekanntlich weit weniger besorgt als um die Frage, wer die Münzen für die künftige Euro- Währung prägen darf. Werner Raith, Rom
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