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Ein wahrer Durchbruch

■ Reisefreiheit für alle Ungarn

Der ungarische Regierungschef Karoly Grosz teilte laut ap dem Bundeskanzler Helmut Kohl mit, daß ab 1988 jeder Ungar nach freiem Ermessen ins Ausland reisen dürfe. Der Kanzler kündigte an, daß Bonn dies in einem ersten Schritt mit Visa–Erleichterungen und -befreiungen honorieren würde. Diese Nachricht markiert einen wahrhaft historischen Durchbruch, wenn man bedenkt, daß die Reisebeschränkungen jahrzehntelang eines der traurigen Hauptmerkmale unserer Unfreiheit darstellten und bis heute in jedem Land des Warschauer Vertrages gelten. Zum ersten Mal seit 1948 ist also das Reisen als verbrieftes Recht jedes ungarischen Staatsbürgers anerkannt worden. Dadurch ist ein Traum von mehreren Generationen in Erfüllung gegangen. In die Begeisterung und Freude mischen sich freilich auch Befürchtungen. Warum brauchte man zu dieser Entscheidung eine schwere ökonomische Krise? Warum war man nicht imstande, die Bürger schon vor zehn Jahren, etwa zur Zeit der Unterzeichnung des Helsinki– Abkommens, frei reisen zu lassen? Warum muß jede Ausweitung der Freiräume unserer Gesellschaft unbedingt im Zusammenhang mit irgendwelchen Westkrediten stehen? Möglicherweise wurde diese Liberalisierung auch durch die Tatsache gefördert, daß Ungarn bald schon mit einer beträchtlichen Zahl von Arbeitslosen zu rechnen hat. Es ist nicht ganz auszuschließen, daß ein Teil dieser „überflüssig“ gewordenen Bürger sich um Arbeitsmöglichkeiten im westlichen Ausland bemühen wird. Wie dem auch sei, welche taktischen oder praktischen Erwägungen auch immer hinter dieser Entscheidung der Behörden stecken mögen, uns bleibt vor allem das Gefühl der Zufriedenheit und der Wunsch übrig: Gute Reise, Ungarn! György Dalos

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