Ein viertklassiges Jubiläum

■ Altona 93 feiert 100. Geburtstag und zehrt von alten Erfolgen von Carsten Gensing

Auf den Stehplatzrängen wuchert das Unkraut, die alte Tribüne ächzt unter ihrem Eigengewicht. Auf der Ostseite des Stadions sind die provisorisch eingelegten Betonplatten, die eigentlich Zuschauerplätze darstellen sollten, längst Bestandteil der natürlich-städtischen Vegetation geworden.

Eine Ruine des Fußballs? Ein Friedhof vegangener Erfolge? Nein, sicher nicht. Die Adolf-Jäger-Kampfbahn an der Bahrenfelder Griegstraße ist so lebendig wie eh und je. Es ist die Spielstätte von Altona 93, einem der traditionsreichsten Vereine in der Norddeutschen Fußballgeschichte. Und der Klub, der sich noch immer nicht von den im heutigen Zeitgeschehen mehr als anachronistisch anmutenden Kaiserfarben Schwarz-Weiß-Rot getrennt hat, wird in diesen Tagen 100 Jahre alt.

Es ist die Geschichte eines Klubs, der erst vor wenigen Wochen den Abstieg aus der Oberliga verkraften mußte. Neun Jahre lang hatte Altona 93 zuletzt in Folge in der höchsten norddeutschen Amateur-Klasse gespielt. Fast eine Dekade, in denen an der Griegstraße nicht immer der schönste Fußball geboten wurde. Dennoch schaffte es der AFC, sich in dieser Zeit ein Fan-Potential aufzubauen, von dem der TuS Hoisdorf und andere am Reißbrett entworfene Oberligisten nur Träumen dürfen. Und das, obwohl die großen Erfolge lange zurückliegen.

66 Jahre in den höchsten Spielklassen

Altona 93, das war einmal eine der ersten Adressen im (Nord-)deutschen Fußball. Insgesamt 66 Jahre spielte der AFC in der jeweils höchsten deutschen Liga, scheiterte aber im Gründungsjahr der Bundesliga 1963 an der sportlichen Hürde, und kam so - statt in die Bundesliga - über die Relegationsspiele immerhin in der Regionalliga Nord, der damaligen 2. Liga unter. Fünf Jahre lang spielte die Mannschaft zusammen um Torhüter Lorkowski, dem Vater des späteren St.-Pauli-Trainers Michael Lorkowski, mit so namhaften Mannschaften wie VfB Oldenburg, VfL Osnabrück, VfB Lübeck und dem FC St. Pauli zusammen, ehe 1968 der endgültige Abstieg erfolgte. Eine Deklassierung, die von Altona 93 nicht so schnell aufgefangen werden konnte, denn die damalige Regionalliga galt als das Herzstück des norddeutschen Fußballs. Vereine wie Bergedorf 85 und der SC Sperber gehörten ihr damals an, mit Barmbek-Uhlenhorst und dem SC Concordia gab es große Derbys, in denen nahezu fünfstellige Zuschauerzahlen keine Seltenheit waren.

Doch der andauernde Ausverkauf der Stammspieler hatte Altona 93 zugesetzt, und so war das 75jährige Vereinsjubiläum, wie auch heute das 100jährige, eher ein Trauerfest. Erstmals war der AFC in die damalige dritte Liga abgerutscht.

Der tiefe Sturz ging weiter. In den 70er Jahren dümpelte Altona 93 in der Landes-, bzw. der neu gegründeten Verbandsliga herum, mußte 1981 nach einer Katastrophensaison gar in die 5. Liga, die Landesliga-Hammonia-Staffel, absteigen. Zwar ließ auch hier der Zuschauerzuspruch nicht nach (das Entscheidungsspiel um den sofortigen Wiederaufstieg, daß der AFC gegen FSV Harburg knapp verlor, sahen über 5000 Zuschauer), doch änderte das vorerst wenig am sportlichen Niedergang.

Renaissance unter Willi Reimann

.Den Aufschwung brachte erst die Verpflichtung von einem alten Ex-Profi: HSV-Europa-Pokalsieger Willi Reimann übernahm 1984 das Traineramt, und mit ihm kamen auch die „Großen“ wieder an die Adolf-Jäger-Kampfbahn. Unter ihnen Walter Frosch, der quakende Abwehrspieler, der es sich nie nehmen ließ, seinen Gegenspieler fast wie aus Versehen auf den Fuß zu treten, um bei einer Zeitstrafe und einer Zigarette ein wenig auszuspannen, und dem Trainer mehr oder wenige gute Ratschläge zu geben. Ebenfalls dabei: Uwe Knodel, Dieter Kawohl und Kuddi Noldt, der sich zuletzt an seine alten Erfolge, den damaligen Aufstieg in die Oberliga, zurückerinnerte und den AFC Anfang der vergangenen Saison übernahm und abstieg.

Damit steht Altona 93 vor einem Neuaufbau. Die Verbandsliga, soll, so jedenfalls sehen es die Verantwortlichen, nur eine Zwischenstation sein. Doch längst ist klar, daß die heuteigen Maßstäbe für den Traditionsklub von der Griegstraße nicht mehr haltbar sind. Die Vereine aus den Hamburger Randgebieten, wie Norderstedt oder Bergedorf 85, verfügen über eine Vielzahl an Sponsoren. Der „City-Fußball“ ist längst ausgestorben. Ottensen 93 löste unlängst seine Fußball-Abteilung auf, Union 03 spielt eine völlig unbedeutende Rolle in der Bezirksliga, St. Georg versucht zwar seit langer Zeit den Aufstieg in die Landesliga, ist jedoch noch Meilen davon entfernt. Ereilt Altona 93 das gleiche Schicksal?

Eines gibt ein wenig Hoffnung. Einige Stammspieler konnten gehalten werden, unter ihnen sogar der „Peter Knäbel Altonas“: Peter Ehlers, 25 Jahre alt, ehemals Profi bei Rot-Weiß Essen und gleichzeitig Altonaer Eigengewächs, ist das Herzstück der Mannschaft.

Mit seinem Bleiben nährt sich auch die Hoffnung, daß Altona nicht zum Kanonenfutter wird, daß der „Adolf-Jäger-Roar“ auch in der Verbandsliga zum festen Bestandteil aller Heimspiele wird. Längst hat sich um den Klub eine Fan-Szene gebildet, die in ihrer Struktur nicht nur der des FC St. Pauli ähnlich, sondern ihr entsprungen ist. Und so mußte selbst AFC-Manager Jörg Franke, hauptberuflich Einstellungsberater bei der Polizei und früherer Bereitschaftspolizist sein Gedankengut bezüglich linksorientierter Fußballfans ein wenig revidieren: „Das sind unsere besten Fans, die brauchen wir. Endlich haben wir nach langer Zeit wieder einen festen Block, der aus den Stadtteil kommt, sich mit dem Verein identifiziert“.

Gerüchte, nach denen sich der eloquente Ordnungshüter für die Feierlichkeiten vom 19. bis 25. August eine schwarze Bomberjacke mit einem „Nazis -Raus“-Aufnäher besorgt hat und zudem beabsichtigt, sein Gesicht von dem Oberlippenflaum zu befreien, werden unterdes noch heftig dementiert.

Aber auch das kann ja noch kommen....