piwik no script img

Ein unpeinliches AufklärungsbuchWir sind keine Blumentopfschlangen

Sexuelle Aufklärung ist meist für Eltern wie Kinder ein Krampf. „Kriegen das eigentlich alle?“ macht es richtig, mit lockeren Texten und Gemüse-Illustrationen.

Brüste aus Blumen: Das Cover von „Kriegen das eigentlich alle?“ Bild: Verlag Kleine Wege

Aufklärung ist bei Jugendlichen noch nie ein einfaches Thema gewesen. Einerseits möchte man den Kindern entspannt alle Antworten auf die Veränderungen geben, die sie erwarten oder die sie gerade durchmachen.

Andererseits: Haben Sie schon mal versucht, mit einem 14-Jährigen über Verhütungsmittel zu reden? Eltern sind ja schon als Begleitpersonen auf der Straße peinlich, und dann fangen sie auch noch mit solchen Themen an (also, natürlich nicht auf der Straße, sondern zu Hause – ist aber peinlich genug!).

„Kriegen das eigentlich alle?“ ist ein Aufklärungsbuch, das Elternherzen höher schlagen lässt. Ein gänzlich unpeinliches, witzig bebildertes Buch über das Erwachsenwerden, auf typisch jugendliche Fragen kommen kurze Antworten. „Denken Jungs immer nur an Autos, Muskeln und Sex?“ oder „Sind Mädchen immer so zickig vor der Regel?“ werben für Verständnis fürs andere Geschlecht, die Kapitel über die äußeren Geschlechtsorgane werden liebevoll mit unterschiedlich großen Früchten und Gemüse bebildert.

Überhaupt die Bebilderung! Sie trägt den Leser leicht durch das Buch, lässt ihn vor und zurück hüpfen und fördert das Grinsen. Jan von Holleben hat sich dafür Jungs und Mädchen vor die Kamera geholt, ihnen mit Blumen Achselhaare, Brüste und Pickel angezaubert, mit Linsen, Schnittlauch und Alfalfa Bärte wachsen lassen und die Kinder beim Herumalbern, Rangeln und mit Kussmund fotografiert. Dazu baute er interessante Maschinen mit Wäscheklammern, Haribos, Fahrradpumpen und Strohhalmen als Hingucker für einzelne Kapitel.

Die passenden Worte

Antje Helms findet dazu die passenden Worte: „Wir sind keine Truthühner, Kopfläuse oder Blumentopfschlangen, die zur Fortpflanzung keinen Partner brauchen. Wir brauchen Sex, damit wir nicht aussterben. Darum hat uns die Natur einen inneren Drang dazu eingepflanzt, den die meisten mit Lust und Freude befriedigen.“

Ihre Sprache ist locker, aber auch nicht aufgesetzt witzig. Schwierige Themen erklärt sie mit fantasievollen Assoziationen, ohne sie lächerlich zu machen. Und danke! Es fehlen gänzlich obligatorische medizinische Zeichnungen von Eierstöcken und Penissen! Die überlässt das Team von Holleben/Helms der Fachliteratur und den langweiligen Aufklärungsbüchern.

Der erste Test mit dem Buch einer 14-jährigen Versuchsperson gelang – angeblich hat sie das erste Drittel der 150 Seiten gelesen. Eine dezidierte Meinungsäußerung zu bekommen war allerdings auch nach mehrmaligen unauffälligem Nachfragen nicht möglich. Das Buch wird jetzt wie zufällig auf dem Wohnzimmertisch platziert, in der Hoffnung, einen geneigten Leser zu finden.

Jan von Holleben, Antje Helms: „Kriegen das eigentlich alle?“. Gabriel Verlag, Stuttgart/Wien 2013, 155 Seiten, 16,95 Euro

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • F
    fan

    Nützlich wäre es, vor dem Verfassen eines Kommentars über das Buch dasselbe erstmal zu lesen. Es ist ab 11 und nicht ab 14, und es ist kein bisschen dämlich. Ein Haufen Kinder zwischen 12 und 14 hat daran mitgewirkt und das merkt man dem Buch deutlich an. Mit mehreren Kindern getestet - die finden es super.

  • S
    sofamystiker

    das buch richtet sich ernsthaft an 14jährige? also wer das dann noch braucht, ist uU schon ungewollt schwanger…

     

    ich kann es nicht genau datieren, aber ich denke meine mutter hat mich aufgeklärt als ich so 6-7 war. ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, dass ich im sexualkundeunterricht in der grundschule die fortpflanzung erklärt habe, da meine mitschüler nicht in der lage waren, das wort 'penis' auszusprechen…

     

    als ich ca. 10 war, hatte ich wohl eine phase, in der ich viele sexwitze erzählt habe. offensichtlich habe ich sie jedoch gar nicht verstanden, was meinen älteren bruder dazu führte, mir ein so-eine-art-was-ist-was-buch über sexualkunde zu schenken. danach war schluß mit den verklemmten sexwitzen.

     

    ganz ehrlich, wenn mir einer mit 14 ein aufklärungsbuch mit gemüse & obst in die hand gedrückt hätte, wäre ich mir verarscht vorgekommen. das war in den 80ern - heute sind die kinder doch viel weiter, und zudem haben sie sich wahrscheinlich schon im internet informiert, bevor mutter/vater überhaupt auf den gedanken kommen, dass es zeit wäre.

  • M
    miche

    @tomateaufdemauge

     

    Also sie bestreiten also die natürlichen unterscheide zwischen Jungen und Mädchen? Schon mal sich mit einem Kind beschäftigt?

  • S
    Supi

    "[...] die Kapitel über die äußeren Geschlechtsorgane werden liebevoll mit unterschiedlich großen Früchten und Gemüse bebildert."

     

    Wie, echt jetzt? :D

     

    Das erinnert mich an den Sexualkundeaufsatz aus dem "Das kleine Arschloch"-Film. Ich glaube da waren es Möhren und Salat.

  • SG
    Schmidt Georg

    meine Tochter 4.Klasse Grundschule hatte jetzt Sexunterricht, sag ich mal, leider kann man sich gegen diese Verblödung nicht wehren, allein die Infos-wie werden ich eine Frau-waren unterste Schublade-leider nehmen die Schulen den Eltern solche Dinge aus der Hand, als Vater steht man dann einfach daneben-meine Tochter fragte mich, ob ich bei ihrer Geburt dabei war: Antwort JA, hast du die Nabelschnur durchgeschnitten NEIN-du bist ein Feigling ! die Lehrerin daraufhin angesprochen: ja die Hebamme hätte das was erzählt ! in den Schulen kann ja jeder erzählen, was ihm/ihr gerade einfällt. Scheinbar!?

  • T
    Thomas

    Es wär ja schön dumm und irgendwie langweilig, wenn ein einzelnes Buch das Allheilmittel für die heimische Aufklärungsfrage sein sollte. Die Bezugspersonen sind immer gefragt. Was dann im Buch fehlt/schräg dargestellt ist, lässt sich auch im Gespräch klären. Und davor fürchten wir uns ja nicht, obercool, unverkrampft und aufgeklärt, wie wir alle miteinander sind.

     

    Ich halte die Nummer mit dem Gemüse für 'ne drollige Idee.

  • B
    bestanyol

    @Tomatenwerfer...

    Genau, ich bin mal gespannt wie viele Pubertierende sich mit irgendwelchen abstrakten Theorien über Geschlecht als gesellschaftlichen Konstrukt auseinandersetzen wollen, oder das Eltern ihrem Kind mutwillig ein Buch über so ein verkopftes Thema schenken würden.

  • A
    Andrea

    @Rosa: bin selbst lesbisch und Mutter und mir ging es immer genauso. Schau mal an: Total normal. Was Du schon immer über Sex wissen wolltest. Von

    Robie H. Harris und Michael Emberley ISBN-13: 978-3407753175. Hatte vor Jahren in USA das Buch gesehen und gekauft, nun gibt es das auch auf Deutsch.

  • G
    gerd.

    Mich würde nach dem Artikel und der Amazon-Zusammenfassung ebenfalls, wie unten von Rosa angesprochen, interessieren, inwieweit das Buch emanzipatorisch (oder eben nicht, wie zu befürchten ist) mit alten traditionellen Vorstellungen umgeht!?

  • K
    katze

    Ich werde mir das Buch wohl aus beruflichen Gründen ansehen, bezweifle momentan aber, dass es "make love" in meiner Hitliste ablöst ...

  • A
    anke

    He, Leute, was soll der Krampf? Ist doch eine gute Idee von Rosa, das Buch, das sie vermisst, selber zu schreiben! Vielleicht hat sie ja sogar die nötige Kompetenz dafür.

     

    Wenn ihre Kids die Wahl haben (und Buchhandlungen sind für Leute unter 18 schließlich nicht gesperrt), dürfen Eltern, die es auf Grund eigener Prägungen lieber normativ mögen, auch gerne was vom Trieb und vom Blümchen erzählen lassen. Das ist immer noch besser als diese alberne Rumdruckserei. Und die jungen Leute informieren sich ja ohnehin da, wo sie glauben, am besten aufgehoben zu sein mit ihren Wünschen, Fragen und Problemen. Also vertraut ihnen mal. Und entspannt euch! Wird schon schief gehen...

  • NS
    nur so

    @Rosa: Vielleicht liegt es daran, dass "die Menschheit" dazu gedacht ist, sich durch die Verbindung von Mann und Frau fotzupflanzen? Vielleicht auch daran, dass es durchaus noch eine heterosexuelle Mehrheit auf der Welt gibt? (Gott oder wem auch immer sei Dank, denn auch SIE sind zum Beispiel dadurch entstanden...nur so am Rande)

  • E
    Emma

    Das Buch soll also 14-jährige ansprechen? Ich hoffe mal ganz stark, dass die in dem Alter schon aufgeklärt sind, sonst brauchts als nächstes ein Gemüsebuch über Abtreibung.

  • C
    Christian

    Gemüsebilder statt nackter Haut? Klingt jetzt aber irgendwie nicht wie die Methode der ersten Wahl um Jugendliche zu ködern.

  • H
    havesexbequeer

    wenn nicht alle immer so krampfig damit umgehen würden, wäre es auch kein Krampf! kann berichten, dass man einfach normal über sex reden kann, wenn sich die älteren nicht bescheuert anstellen, rumdrucksen oder mit Ausflüchten antworten. Sex einfach mit dem Fortpflanzungstrieb zu erklären ist dagegen ganz im Sinne verkrampften Bioaufklärungsunterrichts- und bei halbwegs verünftiger erziehung kommt auch niemand darauf, dass Jungs/Mädchen eben soundso sind...

  • R
    Rosa

    Das hört sich trotzdem ziemlich heteronormativ an... es wird Zeit für ein "Aufklärungsbuch", in dem nicht nur heterosexueller Sex und vor allem nicht nur Penetrations-Sex mit dem Ziel der Befruchtung im Zentrum steht! Sex machen wir doch nicht nur, um uns fortzupflanzen. Das nervt... ICH sollte es schreiben:-)

  • T
    Tomatenwerfer*in

    Schade das die taz sind nicht Gedanken darüber macht wie Geschlecht als soziale Kategorie entsteht und wie sie wirkt. Und ob denn wirklich alle Jungs an Autos denken und alle Frauen zickig werden. Hier haben linke Ideen die taz wohl abgehängt.

    Aber vielleicht geht es ja in dem Artikel nur darum im kommerziellen Buchvertrieb mitzumischen...