: Ein tierisch schlechtes Foto Von Ralf Sotscheck
Wir haben gerne Besuch. Als neulich Freunde aus England anriefen und fragten, ob der Sohn samt Freundin ein Wochenende bei uns wohnen könnte, hatten wir nichts dagegen. Dann kam, so nebenbei gesagt, der Satz, der uns drei unvergeßliche Tage bescheren sollte: „Sie sind übrigens Veganer.“
An Vegetarier sind wir gewöhnt, unser Sohn ist auch einer, aber mit der verschärften Form hatten wir noch keine Erfahrung gemacht. Das braune irische Brot, mit Buttermilch gebacken, war out, soviel stand fest. Die zulässige Ersatzware, die wir besorgt hatten, war jedoch so furztrocken, daß sie im Toaster selbst auf niedrigster Stufe verglühte. Man mußte die Stullen nach wenigen Augenblicken mit der Gabel aus dem Gerät herausfischen, ohne dabei in die Heizspiralen zu stechen, um nicht selbst zu verglühen. Damit das staubige Brot überhaupt durch die Kehle rutschte, mußte es eingefettet werden. Das war kein Problem: Der Supermarkt hielt geeignete Veganer-Margarine bereit. Doch was dann? Wurst, Käse, Marmelade und Nutella – alles voller Tiere oder deren Produkte. Cornflakes mit Wasser? Zaziki ohne Quark? Strudelloser Apfelstrudel? In meiner Ahnungslosigkeit fielen mir nur Bananenbrote ein.
Das Problem löste sich dann von selbst. Als Garth und Sophie ihre nassen Leinenschuhe auf die Heizung gelegt und ihre synthetischen Pullover ausgezogen hatten, entdeckten sie die Hauskatze, ein Karnivor ersten Ranges. Angewidert beobachteten sie, wie das Tier eine rohe Makrele verputzte. Damit war ihnen der Appetit vergangen. Haben Veganer überhaupt so etwas wie Appetit? Jedenfalls desinfizierten die beiden mißtrauisch den Löffel, mit dem sie den Zucker im milchlosen Kaffee umrührten. Hätte ja sein können, daß er irgendwann einmal mit einem Joghurt in Berührung gekommen war. Wir haben nie herausgefunden, was Garth und Sophie an diesem Wochenende eigentlich zu sich genommen haben.
Als ich ein Erinnerungsfoto machen wollte, war ich endgültig unten durch. Die beiden sprangen entsetzt auf. „Um Himmels willen“, rief Garth, „hast du keine Videokamera?“ Nein, habe ich nicht. „Dann tut es mir leid“, bedauerte Garth, „ein elektronisches Aufzeichnungsgerät wäre okay gewesen, aber doch kein Fotoapparat. Die Filme enthalten Gelatine!“ Egal. Auch ohne Foto werden wir uns an dieses Wochenende immer erinnern.
Ich versuchte, Garth mit einem unverdächtigen Ingwerkeks zu besänftigen, doch die Dinger waren so scharf, daß man höllischen Durst bekam. Der Eierlikör blieb natürlich im Schrank, aber daß auch Wein auf dem Index stand, war mir neu. „Es gibt nur eine Marke, die keine tierischen Produkte gegen die Trübung des Getränkes verwendet“, verkündete Sophie. „Und zwar eine kalifornische.“ Mein australischer Tropfen war mit Pauken und Trompeten durchgefallen.
Wenigstens im Pub dürfte es keine Probleme geben, dachte ich mir: Mineralwasser und Bier, Orangensaft und Malzwhiskey – alles erlaubt. Doch daraus wurde nichts: Die beiden waren abends um acht fix und fertig von der Reise und mußten ins Bett. Klarer Fall von Jetlag. Der Flug von Bristol hatte 25 Minuten gedauert. Muß wohl an der Ernährung liegen.
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