Ein schöneres Land in Sicht

Sie haben keine Lust auf Arbeitslosigkeit, trübe Stimmung und schlechte Perspektiven: 22.000 NRWler wanderten vergangenes Jahr aus – nach Kanada, Norwegen, Malle. Egal wohin, bloß weg

von MIRIAM BUNJES

„Es widert mich nur noch an, alle jammern jeden Tag, ich hab schon selber damit angefangen. Ich muss raus aus Deutschland.“ Gerd Mahlmann aus Hamm will nach Kanada, so schnell wie möglich. Vier Jahre ist der gelernte Kraftfahrzeugmechaniker jetzt schon arbeitslos. Seine Zeugnisse sind sehr gut. Aber: „Wen interessiert das schon?“ Perspektiven sieht er in der kleinen Zechenstadt am Rande des Ruhrgebiets schon lange nicht mehr. „Ich glaube, das ist es, was mich am meisten hier in NRW ankotzt: Die Stimmung ist unterirdisch und bleibt offenbar so.“ Gerd Mahlmann will das nicht mehr. Er will einen Neuanfang, weit weg von Deutschland, irgendwo hin, wo seine Arbeitskraft mehr ist als eine Nummer im Hammer Arbeitsamt, das jetzt Agentur für Arbeit heißt, aber immer noch keinen Job für ihn hat. „Ich mache mir meine Aufbruchstimmung selbst“, sagt der 40-Jährige.

22.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen haben im vergangenen Jahr Nordrhein-Westfalen den Rücken zugedreht, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Tendenz steigend.

Dabei gibt es gar nicht mehr Träumer heutzutage, sagt Norbert Suing von der Auswanderungs-Beratungsstelle des Raphael-Werkes in Aachen. Menschen, deren Gedanke schon immer in die Ferne schweiften, die neue Länder und neue Menschen erleben wollen, um sich zu verwirklichen – solche wird es immer geben. „Heutzutage gehen aber auch Leute, die eigentlich bleiben würden“, sagt Suing.

Leute wie Gerd Mahlmann. Oder Anne Solisan aus Bonn, die seit drei Jahren im nordenglischen York als Sozialarbeiterin arbeitet und ihren Mann und die zwei kleinen Mädchen mitgenommen hat. „Das war das Beste, was ich tun konnte“, schreibt sie im Online-Forum von www.auswandern.de. „Ich arbeite in dem Beruf, den ich gelernt habe und den ich liebe. Ich lebe in einer wunderschönen Stadt und habe Leute kennengelernt, die ich sonst nie gekannt hätte.“

Solisan und Mahlmann sind moderne Arbeitsmigranten. Menschen wie sie sitzen tagtäglich bei Norbert Suing. „Der deutsche Arbeitsmarkt bietet ihnen nicht das, was sie sich vorstellen“, sagt der Auswanderungs-Experte. In Norwegen und Kanada werden zur Zeit Handwerker aller Berufe, in Großbritannien vor allem SozialarbeiterInnen gesucht. Jobs, von denen viele qualifizierte Nordrhein-Westfalen träumen und die sie hier zur Zeit nicht finden. „Es geht nicht nur darum, überhaupt irgendeinen Job zu finden“, sagt Suing. „Es geht auch um Lebensstil, darum, eine Arbeit zu finden, die Spaß macht und in einem Land zu leben, in dem man glücklicher wird als in Deutschland.“

Geträumt wird in erster Linie von Nordamerika. Rund 2.500 Menschen aus NRW gingen 2004 in die USA und nach Kanada. „Es wollen noch mehr“, sagt Suing. Die begehrte Greencard geht schließlich nur an die, die vorher schon einen Arbeitsplatz gefunden haben – oder bei der Greencard-Lotterie, die weltweit 55.000 Aufenthaltserlaubnisse vergibt, gewonnen haben. Suing lotet die Chancen der Auswanderungswilligen aus, hilft bei der Arbeitsplatzsuche im Internet oder bei der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung und erklärt die rechtlichen Fragen einer Umsiedlung.

„Kurzfristig entlastet der Auswanderungs-Trend unseren Arbeitsmarkt, langfristig verlieren wir qualifizierte Arbeitskräfte“, sagt Werner Eichhorst Institute for the Study of Labor der Uni Bonn. „Es sind die Besten, die gehen, die, die flexibel sind und neue Impulse suchen.“ Die meisten Auswanderer seien zudem im Familiengründungsalter: „Deren Kinder gehen den deutschen Sozialkassen verloren.“