: Ein schauriges Vergnügen, Initiation
■ Wen die Mädchen lieben: Patrick Swayze in „Dirty Dancing“, immer noch im Kino
Maria Neef-Uthoff
Der Tanz heißt Mambo, der Film spielt in den 60er Jahren. Die Tochter der taz-Fernsehredakteurin hat ihn siebzehn Mal gesehen, die 'Bravo'-Spalten sind voll davon: „Ich bin 1,73 Meter groß und 63 Kilo schwer, kann ich mich trotzdem für einen Tanzkurs anmelden?“ Oder: „Tausche alle meine Madonna und Nena-Fotos gegen gebrauchte Spitzenschuhe, Größe 37.“ Schuld am Tanzboom bei den Kids ist „Dirty Dancing“ - schon fast ein Kultfilm wie seinerzeit „Saturday Night Fever“! Maria Neef-Uthoff ist dem rätselhaften Phänomen auf den Grund gegangen.
Als Tini das erste Mal menstruierte, ging die Mutter zur Feier des Tages mit ihr ins Kino. Es war ein zärtlicher Liebesfilm, berichtet die Mutter später. Tini lächelte und machte runde Augen.
Danach ging Tini fast jede Woche in den Film. Zwanzig Mal war sie da. Ihre Freundin Janis war sieben Mal, Lea sechs Mal und Kathi fünf Mal.
Was ist das für ein Film, der die Töchter so süchtig macht? Was für ein Film, der sich zu Initiationszwecken eignet. Ich fragte die Mädchen. Ein soo schöner Musikfilm. Es wird sooo schön getanzt. Na ja, dachte ich, wird schon nicht so übel sein. Einer von diesen zahlreichen Tanzfilmen, die im Moment so beliebt sind.
Sein Name ist „Dirty Dancing“, mit dem Hauptdarsteller Patrick Swayze, den man seit dem Erfolgsfilm auf jeder 'Pop Rocky‘, auf jeder 'Bravo‘, von vorn und von hinten bewundern kann. Er hat einen brutalen Zug um den Mund, sagte ich, ohne den Film gesehen zu haben. Du bist bekloppt, sagten die Kinder, du spinnst, der ist ganz toll. Und ganz lieb.
Ich sitze im Kino. Ein männliches Ungetüm springt zackig im Takt einer heißen Musik und schleudert ein Mädchen in alle Lüfte. Er ist breit, und seine Arme sind dick. Seine Muskeln geschwollen. Er sieht aus wie Siegfried. Sein Kopf ist klein, die Mimik eher sparsam. Die Augen liegen in tiefen Höhlen, und die Brauen so kurz über den Augen geben seinem Gesicht etwas gedrungenes. Aber sein Mund. Sein Mund, der so sensibel traurig lächelt wie der Mund eines zu kurz gekommenen Frauenlieblings, dieser Mund bringt die Spannung ins Gesicht. Dieser Mund ist im Ruhezustand brutal und verschärft das grobe Gesicht, aber beim Lächeln wird daraus ein süßes Kußmündchen. Verwirrend. Es wird getanzt, aber wie. Wie ein wildes Rind ruckt und bockt der Filmheld namens Johnny im Schweiße seines Angesichts. Sein Unterleib ist in Aktion, und die Arme befehlen und steuern. Gesteuert wird die Tanzpartnerin. Man sieht dauernd ihren Popo, so schnell geht alles. Wie eine Gliederpuppe wird sie hin- und hergeschleudert; sie ist einzig und alleinige Hingabe. Er schmeißt sie in die Luft und zurück, biegt sie nach hinten, reißt sie hoch, stemmt sie, läßt ihr nächstes Bein an sich herabsinken, dreht sie erbarmungslos weg, zerrt sie zurück.
Genauso unschuldig wie unsere Kinder im Kino, steht im Film ein braves junges Mädchen an der Tanzfläche. Dieser Mann interessiert sie. Neugierig betrachtet sie ihn und sein Trockenficken mit Musik. Aber es hat doch gar nichts mit Sex zu tun, denn keiner ist nackig, meint eins unserer Mädchen später. So ist es. Initiationsriten sind oft mit wilden Tänzen verbunden. Böse Geister werden vertrieben. Sexualität ist im Spiel, aber nicht da. Ein Macho hoch zehn und eine willige Partnerin.
Johnny braucht nur den Arm auszustrecken, seine männliche Hand, nein, keine Hand, eine Pranke, wild und fordernd, aber nur winzig bewegt, und schon macht die Frau, was er will. Sein Körper ist entweder nackt bis auf eine schwarze Hose, oder mit Hemd und dunklem Schweißstreifen am Rücken.
So kommt die Welt wieder in Ordnung. Der Mann bleibt Mann, die Frau bleibt Frau. Was unsere Töchter nicht zu Hause finden, suchen sie auf der Leinwand.
Es ist ja nicht so, daß Johnny ein Arschloch ist. Ganz im Gegenteil. Er ist der gute Junge, der er zu etwas bringen will und der um seine Anerkennung kämpft. Eigentlich ist er Maurer. Wir haben es mit zwei braven unschuldigen Menschen zu tun. Das Mädchen heißt Baby und verbringt ihre Ferien mit ihren Eltern in einem amerikanischen Feriencamp. Johnny tanzt dort zur Unterhaltung der Gäste. Nun fällt seine Tanzpartnerin aus, weil sie eine verkorkste Abtreibung auskurieren muß, und Baby, die bisher immer nur zugekuckt und gelächelt hat, bietet sich als Ersatztanzpartnerin an. Und man hat längst gemerkt, daß sie sich für Johnny interessiert. Der ist aber nur am Tanzen interessiert. Alle die geilen Bewegungen dienen einzig und allein der Kunst. Sie sind schwere Arbeit, und werden unermüdlich wiederholt. Man könnte auch sagen, daß er Kavalier bleibt und seine Triebe beherrscht. Oder er hat keine. Denn nahe kommen sich die beiden. Und man lauert richtig darauf, daß es endlich passiert. Schrecklich diese ganze Nähe, dieses Aufpeitschen der Gefühle, und dann immer wieder nichts, das macht nervös.
Diese sadistische Selbstbeherrschung. Konzentriert bis aufs Blut ignoriert er Babys hinschmelzende Sehnsucht, ihre Kiekser, als er sie kitzelt - kitzeln muß sein, muß ausgehalten werden - tut er mit herrischer Geste ab.
Dann endlich. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Nach der Aufführung kriegen sie sich. Ganz leise berührt, gestreichelt mit wenig gezeigter Haut und viel grüner Landschaft. Aus dem wilden wütenden Macho-Monstrum wird ein schüchterner sanfter Geliebter, die rauhe Schale zeigt ihren weichen Kern. Oh Mutter, gib es zu, wie oft in deinem Leben hast du dir genau so was gewünscht.
Wahrlich ein Film für junge Mädchen. Es passiert nichts. Der Schrecken des Sex kann beruhigt aufs Tanzen projeziert werden, die aufgewühlte Seele wird besänftigt, was gefährlich aussah, ist endlich friedlich erlöst.
Johnny und Baby sind nicht gleich. Sie ist unerfahren, er ist erfahren. Sie kommt aus einem Arzt-Haus, er ist ein Prolo. Sie gibt, er nimmt. Was sie gibt? Selbstbewußtsein, Beratung, Besänftigung. Was gibt er? Nichts. Seine Lebenserfahrung nützt ihm nichts, sie ist nur hinderlich und beweist, daß er zur falschen Klasse gehört. Er darf aber er sein und wird geliebt, weil er sie braucht und weil er toll ist. Aber er ist gar nicht toll. Außer Sex und Körper ist er nichts.
Das ist anders als früher. Damals war es Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi, Ben Hur, faszinating, Männer, die Helden waren, die alles konnten. Die klar machten, daß sie mit der Welt fertig wurden.
Johnny kann tanzen. Scheinbar geht es emanzipiert zu: Baby nimmt die wesentlichen Dinge in die Hand. Ganz so wie die Frauen, die zuviel lieben. In Zeiten wie den heutigen hat einer wie Johnny die meisten Chancen. Er verkörpert beides: den Macho - aber ungefährlich - und den schwachen Typen, der sich zusammenhalten muß. Sicherlich wird er Baby aus jeder Gefahr retten, wenn sie ihm nur ordentlich zuspricht.
Fragt man die Töchter, so halten sie diesen Film für ein Beispiel von Gleichberechtigung. In ihrem Weltbild gibt es noch den Traum einer Welt jenseits von Sexismus, in ihren Märchen bleibt der Mann Mann, aber gut. Niemand beutet niemand aus. Ist vielleicht auch Traum für die allein erziehenden Mütter.
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