■ Ein paneuropäisches Jazzquartett um den Bremer Trompeter Uli Beckerhoff beschloss das Kolloquium:
Für viele Teilnehmer des Kolloquiums „Der Blick auf den Klang“ war es offensichtlich das „chill-out-event“, oder in gutem alten Deutsch der entspannende Schluss. Das Konzert von Uli Beckerhoff (Trompete), Maria Pia de Vito (Gesang), John Taylor (Piano) und Anders Jormin (Bass) bot auch formal einen Kontrapunkt zum Thema des Forum, denn diese Musik wird nicht „im Fernsehen“ gesendet, sondern nur im vergleichsweise dezenten Medium (das NordwestRadio hat mitgeschnitten). Eigentlich schade, denn wenn ein Sender das Konzert abgefilmt hätte, dann hätten all die Fernsehschaffenden im Publikum auch mal die dicken Kameras vor den Nasen gehabt, und unter den Scheinwerfern geschwitzt. Denn immer wenn das Fernsehen dabei ist, geht die Aura eines Konzerts für die Anwesenden flöten, der „Blick auf den Klang“ verändert die Wirkung des Klangs, Heisenberg lässt grüßen.
Aber an diesem Abend gab es solche Unschärfen nicht, der Genuss war ungetrübt und beträchtlich. Denn da waren vier wirkliche Meister des zeitgenössischen europäischen Jazz zusammengekommen, („erstmalig“ steht im Programm), die etwa zwei Stunden lang miteinander spielten. Und dieses Verb trifft es mit seinem Doppelsinn genau, denn sie improvisierten zusammen so frei und vergnüglich, dass man bei aller Virtuosität auch eine kindliche Freude am Spiel spüren konnte, die dem Abend eine ganz besondere Atmosphäre gab.
Sie spielten sich sogar gegenseitig Streiche. Maria Pia de Vito forderte etwa Uli Beckerhoff zu einem Duell heraus, bei dem ihr klar sein musste, dass er mit seiner Trompete unmöglich ihren extrem schnellen und komplizierten Scatt-Koloraturen folgen konnte. „Das kann ich nicht!“, schmollte Beckerhoff ins Mikrophon, und hatte die Lacher wieder auf seiner Seite. Die vier hatten genug Freiräume für schöne, durchweg inspirierte Soli. Fast alle spielten auch jeweils ein Stück als Duo miteinander, und die Bandbreite der gespielten Musik reichte von neapolitanischen Volksliedern über den Wohlklang von klassisch angehauchtem Kammerjazz bis zu elektronischen Effekten, bei denen Maria Pia de Vito ihre Stimme über einen Loop laufen ließ, und so ein Solo über ihren eigenen Chorgesang improvisieren konnte.
Beckerhoff hielt sich als Gastgeber eher zurück, heimliche Bandleaderin und Star des Abends war eindeutig Maria Pia de Vito. Die meisten Stücke des Programms waren aus ihrem Repertoire, so etwa die neapolitanischen Gesänge, eine Ballade, ein Stück, das Ralph Towner für sein Trio mit ihr geschrieben hat oder auch ein Song im Stil der Bantugesänge, bei dem Klavier, Bass und sogar die Trumpete als Schlaginstrumente eingesetzt wurden. So bekam das Konzert trotz der Überzahl der „nordischen“ Musiker aus England, Schweden und Bremen ein mediterranes Flair, der komplexe Jazz auf hohem Niveau kam sehr leichtgewichtig und kulinarisch daher. Zudem hatte man immer das schöne Gefühl dass die Musiker mindestens soviel Spaß an diesem Abend hatten wie das Publikum.
Wilfried Hippen
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