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■ Maifestspiele oder PolitikEin neuer erster Mai

Nun ist er vorbei, der „revolutionäre“ 1. Mai – die Mißverständnisse freilich bleiben. Diejenigen, die im Nachgang von politischen Krawallen sprechen oder davon, daß es sich die Kreuzberger Chaoten in Prenzlauer Berg gemütlich gemacht haben, sitzen den Irrtümern ebenso auf wie jene, die zur „revolutionären“ Demonstration rufen und nicht merken, daß sie lediglich ein alternatives Angebot für abenteuerlustige Jugendliche anbieten.

Was an den „Straßenschlachten“ am Kollwitzplatz auffiel, war die fröhliche Gelassenheit, mit der die jugendlichen „Kämpfer“ das Angebot wahrnahmen. Eine Einladung, wie man sie im Jahr nur einmal bekommt: Schließlich verspricht ein „revolutionärer“ 1. Mai – eine Art Love Parade im Pflastersteinrhythmus – weitaus mehr Fun als der Rave in den Discos oder die Prügeleien auf dem Schulhof. Um den politischen Überbau, der von den linksradikalen Organisatoren der Maifestspiele mitgeliefert wurde, scherten sie sich nicht, sondern nahmen ihn billigend in Kauf.

Der eigentlich „revolutionäre“ Mai fand nicht in Prenzlauer Berg statt, sondern am Roten Rathaus. Jahrelang haben Jobberinitiativen und „Sozialrevolutionäre“ versucht, auf der DGB-Demo eigene Akzente zu setzen. Und jahrelang wurden sie von Gewerkschaftern dafür mit Mißachtung oder Ordnereinsätzen bestraft. Daß in diesem Jahr jeder zweite Kundgebungsteilnehmer und auch viele Mitglieder einzelner Gewerkschaften wie etwa der HBV gegen die herrschende Politik der Sozialpartnerschaft demonstrierte, ist ein politisches Zeichen, das in dieser Deutlichkeit keiner erwartet hätte. Aber schon die Demos gegen den Sozialabbau haben gezeigt, daß die politische Wirklichkeit in dieser Stadt nicht nur aus der Sparlogik der Politiker bestehen muß. Daß dies nun auch der DGB-Führung hinter die Ohren geschrieben wurde, ist die eigentliche Aussage dieses 1. Mai. Uwe Rada

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