: „Ein konsequenter Ausführer“
■ Staatsanwalt fordert fünf Jahre für Otto Jürgens, Richter der Waldheimer Prozesse / Verteidigerin will Freispruch
Leipzig (taz/AFP) – In seinem Plädoyer vor dem Leipziger Landgericht forderte Staatsanwalt Dietrich Bauer gestern fünf Jahre Haft ohne Bewährung für den Angeklagten Ex-DDR-Richter Otto Jürgens. In insgesamt sieben Fällen habe sich Jürgens der schweren Freiheitsberaubung und der Rechtsbeugung strafbar gemacht. Er habe als „konsequenter und entschlossener Ausführer“ an den „Waldheimer Exzessen“ teilgenommen, so der Staatsanwalt. Die Verteidigerin Dorothea Stöckchen forderte Freispruch für den 86jährigen.
Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, daß Jürgens im Jahre 1950 als Beisitzender Richter in den berüchtigten sogenannten Waldheimer Prozessen unter Mißachtung aller strafprozessualen und rechtsstaatlichen Normen angebliche Naziverbrecher zu langjährigen Haftstrafen verurteilte. In Waldheim, das bestreitet auch der Angeklagte nicht, fand keine Beweisaufnahme statt, die Öffentlichkeit war ausgeschossen, Zeugen wurden nicht gehört und Verteidiger in fast allen Fällen nicht zugelassen – ein Schuldnachweis fand bei den nur rund 20 Minuten dauernden Verhandlungen nicht statt.
Grundlage für die Verurteilungen, die meist nicht unter 15 Jahren Haft ausfielen, waren vor allem Protokolle der Sowjets, in denen oft nur mit wenigen Worten die Identiät des Gefangenen und der Beruf angegeben war.
Den Antrag auf Freispruch begründete die Verteidigerin damit, daß der Staatsanwaltschaft der individuelle Schuldnachweis des Angeklagten mißlungen sei. Nicht bewiesen sei, daß Otto Jürgens aus eigenem Antrieb das Recht gebeugt habe. Vielmehr sei ihr Mandant damals „zutiefst überzeugt“ gewesen, daß die Prozesse richtig gewesen seien, um Nazi-Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen, sich also einer Schuld gar nicht bewußt gewesen. Auch habe Jürgens Aufgrund seiner schlechten juristischen Kenntnisse – Jürgens war zweimal beim Volksrichterlehrgang durchgefallen – überhaupt nicht beurteilen können, daß er Verfahrensfehler beging. Außerdem habe Jürgens auf Weisung der Parteiführung gehandelt. „Die Richter standen unter ständigem Druck.“
In seinem Schlußwort erinnerte Jürgens an die Verbrechen der Nazis in den Konzentrationslagern. Zwar seien 1950 auch Unschuldige vor Gericht gekommen, diese müßten aber als „späte Opfer des Hitler-Regimes“ beklagt werden. ja
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