: Ein jämmerliches Schauspiel
■ Die RAF unter den Bedingungen des Kronzeugengesetzes
Es sind nicht ihre Aussagen als solche, die das Drama um die in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger zu einem jämmerlichen Schauspiel werden lassen. Das Bedürfnis, nach zehn oder fünfzehn Jahren Versteckspiel nun reinen Tisch zu machen, ist menschlich verständlich und nachvollziehbar. Selbst die Tatsache, daß dabei frühere Freunde belastet werden, reicht nicht aus, um über die Aussagewilligen den Stab zu brechen. Schließlich ist es nicht einfach, bei der eigenen Endabrechnung immer dann Posten offen zu lassen, wenn die Ermittler Namen hören wollen, wenn sie nachbohren und drohend die Glaubwürdigkeit der Aussage insgesamt in Zweifel ziehen. Zwar ist Peter-Jürgen Boock diesen Weg gegangen. Und die Reaktion seiner Richter ist bekannt: dreimal lebenslänglich plus 15 Jahre im ersten Urteil, trotz dürftiger Beweislage.
Wirklich jämmerlich wird die Aufführung, vor der die Fahnder nun gelegentlich und wohlkalkuliert ein Stück weit den Vorhang lupfen, erst vor dem Hintergrund des Kronzeugengesetzes. Vor aller Augen geschieht genau das, was die Kritiker dieser Regelung von Anfang an prophezeit haben. Nach dem Motto „rette sich, wer kann“ werden Aussagen gemacht, im vollen Bewußtsein, daß der Strafnachlaß umso großzügiger ausfallen wird, je mehr einer zu bieten hat. Und je eher einer redet, umso größer ist die Chance, daß ihm nicht schon jemand anders zuvor gekommen ist. Dann hilft dieselbe Aussage nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht mehr.
Manche der Beschuldigungen gegen frühere Gesinnungsgenossen klingen denn auch ausgesprochen vage. Man äußert sich über Gespräche mit den früheren Genossen, über Strukturen, gelegentlich auch über Tatbeteiligungen. „Gerichtsfest“ ist nur weniges von dem, was bisher in die Öffentlichkeit lanciert wurde. Es hilft jedenfalls den Ermittlern - und die spielen schon recht virtuos auf diesem neuen Instrument, das ihnen Kurt Rebmann hinterlassen hat.
Das Drama nimmt seinen Lauf. Für wen es letztlich zur Tragödie wird, läßt sich noch nicht abschätzen. Sicher scheint nur eins: Unter den Bedingungen des Kronzeugengesetzes können die Zuschauer nicht sicher sein, die Wahrheit zu kennen, wenn der Vorhang fällt.
Gerd Rosenkranz
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